Identität der Woriener Gräfin geklärt!

Montag früh Morgens um halb vier Uhr d. 1ten (ersten) Septbr. starb Agnes Theresia Cathar(ina) Honorata v. Domhardt geb. Gräfin Radolinska, nachgelassene Wittwe des verstorbenen H(errn) Kammerpräsident Ludwig Friedr(ich) v. Domhardt, Erbherr der Adl. Worienschen Güter und Lehnspatron dieser Kirche, und wurde Donnerstag den 4ten ej ins Gewölbe gesetzt. Montag den 8ten ej  war das feierliche Leichenbegängniß. Montag bis Donnerstag wurde täglich 1 Stunde in 3 Pulsen geläutet. Die Kirche bekam nichts.

So lautet der Eintrag im Sterberegister des Kirchenbuchs von Eichhorn, Pr. Eylau. Bislang gab es – trotz mehrfacher Bemühungen – weder Informationen über ihre Herkunft noch über Ort und Datum ihrer Eheschließung mit Ludwig Friedrich von Domhardt. Agnes Theresia Catharina Honorata von Leszczyc Radolino Radolinska  – ihr vollständiger Name wird in den Taufeinträgen der Kinder genannt – wurde 62 Jahre alt.

Die Vermutung lag nahe, dass sie zu dieser Familie gehört – eine Bestätigung gab es bislang jedoch nicht:

Leszczyc zu Radolin (spr. leschtschìtz), eins der zwölf ältesten poln. Dynastengeschlechter, das einen Fruchtschober (poln. brog) mit goldenem Dach als Wappen führt und deshalb auch häufig Brog genannt wurde. Seinen Ursprung leitet es, wie der Name (»Sohn oder Abkömmling des Lech«) andeutet, von dem angeblichen Gründer des polnischen Reiches her. Der fünfte Erzbischof von Gnesen (1060 bis 1092), Petrus L., vertrieb Boleslaw II. 1079 und regierte Polen bis zum Regierungsantritt Wladislaws I. Peter L., Bischof von Krakau (1392–1414), war um die Stiftung der Krakauer Universität hochverdient. Seit der Mitte des 11. Jahrh. führte der älteste Zweig des Hauses den Titel »Grafen zu Skärssow und Herren zu Radolin«; aber Matthias I. L., ein Enkel des Reichssenators und Kastellans zu Kalisch, Adam L. (gest. 1380), nahm den Namen der ihnen gehörenden Herrschaft Radolin als Geschlechtsnamen an; daher der Doppelname Radolin-Radolinski, den die zwei preußischen und die zwei österreichischen gräflichen Linien noch gegenwärtig tragen. Einer preußischen Linie gehört der Fürst Hugo von Radolin (s. d.), deutscher Botschafter in St. Petersburg, an. Von den übrigen Zweigen des Geschlechts L. sind nur noch zwei übrig, die »Grafen zu Suminie-Suminski« und die »Herren zu Skarzeszow-Skarszewski«. (Quelle: Meyers Großes Konversationslexikon; Dresden 1873).

 Als Taufpatin des Sohnes ALFRED Friedrich Gustav von Domhardt wird 1792 unter den 10 Taufpaten auch ‚Frau Gräfin Catharina von Radolinska‚ genannt. Der Zusatz im Taufeintrag ist kaum zu entziffern. Nachdem ich mich erneut näher mit der Familie beschäftigt habe, denke ich, die genaue Bezeichnung ist:

Frau Gräfin Catharina von Radolinska von Behle

Das ist der Ansatz für eine weitere Spurensuche. Im ‚Städtebuch des Landes Posen‘ , das 1864 in Leipzig erschien, wird auch der Ort Radolin erwähnt. Genau heißt es dort auf Seite 121: ‚Radolin gehörte zur Herrschaft Behle (Biala) …. Im XVIII. Jahrhundert waren Grundherren die in Behle wohnenden Radolinski, die ihren Namen wahrscheinlich von dem in der koniner Gegend gelegenen Dorfe Radolino führten. August III. erteilte am 13. Januar 1759 dem Grafen Radolinski einen Freibrief zur Gründung einer Stadt namens Radolin … Die Gemeinde war nach Schönlanke eingepfarrt‚.

Und heute habe ich endlich entdeckt, wer sie wirklich ist – die in Worienen 1828 verstorbene Gräfin v. Leszczyc Radolino Radolinska! Die digitalisierten alten Bücher sind ein Segen! 1841 erschien in Berlin ein Buch mit dem tollen Titel: ‚Genealogisch-Diplomatisches Jahrbuch für den Preußischen Staat und zunächst für desses Adel und die höheren Stände überhaupt‚. Dass ich diese Quelle bisher nicht fand, mag daran liegen, dass das Buch noch nicht so lange in digitalisierter Form einsehbar ist …

In diesem Buch wird sowohl die Herkunft der Gräfin erwähnt als auch ihre Ehe mit Ludwig Friedrich von Domhardt. Auf Seite 54 ist zu lesen:Andreas Graf von L. Radolin Radolinski hinterließ mehrere Kinder:

  1. Therese, verm(ählt) mit dem Freiherrn Friedrich von Domhart, Erbherr von Wori(e)nen in Preußen, Staatsrath, Ritter hoher Orden, oberster Präsident des Königreichs Preußen (Anmerkung von mir: sein richtiger Name lautet Ludwig Friedrich von Domhardt, das ist im Buch falsch angegeben)
  2. Johannes, Ritter des St. Annenordens, Erb- u. Gerichtsherr auf Behle, Radolin, Napochau, Hammer usw. …
  3. Joseph, Erb- u. Gerichtsherr von Kretkow und Bovjeneiczki …

Die Tochter Therese – ‚unsere Woriener Gräfin‚ – wird in vielen Abhandlungen über die Grafenhäuser einfach unterschlagen. Erwähnt werden oft nur ihre beiden Brüder – wie zum Beispiel hier:

Graf Andreas VI., gest. 1772, war mit Anna zu Blociszewo Gajewska aus dem Hause Ostoja vermählt. welche letztere an das Haus der Grafen zu Radolin-Badolinski ihre Ansprüche auf die bedeutende Erbschaft der erloschenen Familie der Grafen Opalenski brachte. Aus dieser Ehe stammten zwei Söhne, die Grafen: Johann Ignaz I. und Joseph. Johann Ignaz I. Leszczyc Graf v. Radolin Radolinski, geb. 12. Aug. 1769, gest. 14. Dec. 1845, Herr auf Behle und Radolin, Napachau …‘ (Deutsche Grafenhäuser der Gegenwart‘, 2. Bd. ; Leipzig 1853).

Der kleine Ort Worienen und seine Bewohner liegen mir besonders am Herzen. Auch meine eigenen Vorfahren haben dort gelebt. Ich bin schon zweimal dort gewesen, bin am ehemaligen Schloßgelände entlang gegangen und habe mich bemüht, auf dem alten Friedhof nach Spuren zu suchen. Ich freue mich sehr, dass die Identität der ‚Woriener Gräfin‚ nun geklärt ist!

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