Die Ostpreußen und der Branntwein

Ludwig Avenarius, ‚Königlich prinzlicher Domänen-Kammerrath‘ schreibt 1829 in einem Abschnitt seines Buches ‚Beiträge zur nähern Kenntniß der Provinz Preußen, besonders Ostpreußen ..‚ u.a. über den Charakter und die Sitten der Ostpreußen. Er selbst hatte im Jahr zuvor einige Zeit in Ostpreußen verbracht und wehrt sich gegen abfällige Äußerungen eines Herrn Kammerraths Zimmermann von Nehringen, die dieser getan hätte, ohne Ostpreußen je bereist zu haben.

Herr Zimmermann hatte u.a. geschrieben: ‚Man will die psychologische Bemerkung aufstellen, daß sich der Charakter am unverholensten in der Trunkenheit zeige. Leider ist dies Laster unter dem gemeinen Manne in Ostpreußen sehr allgemein, nimmt zu in Litauen und herrscht vor in Masuren. Der Kartoffelbranntwein, ächter Fusel, dessen Geruch schon abschreckt, ist der größte und herrlichste Genuß des gemeinen Mannes; um ihn sich zu verschaffen, verkauft er das letzte Huhn. Ich habe in den Theilen, welche an Polen grenzen, die Bemerkung gemacht, daß von hundert Bauern nicht zehn nüchtern aus der Stadt nach Hause zurück kehren. Man sollte nun erwarten, daß in einem solchen Zustande es zu blutigen Thätlichkeiten kommen müßte; gleichwohl habe ich nie von Schlägereien gehört wie sie in unsern Gegenden bei Tänzen in den Schänken häufig vorkommen.‘

Wenn ich mir die Szenen vorstelle, die Herr Zimmermann anschließend schildert, muss ich wirklich lachen:

‚An den Markttagen bewegen sich wankende Landleute ohne allen Lärm unter einander herum, und fallen, mit unerwartet gefundenen Bekannten oder Verwandten, in der Umarmung zu Boden, um vereint sich das Aufstehen zu erschweren oder zu erleichtern. Naht sich der Abend, so legen sie sich auf ihren Puffwagen, und die Pferde, sonst nur an Trab gewöhnt, gehen langsam zur Stadt hinaus, und finden, oft ohne Lenken, ihre Heimath. Ich bin oft solchen Wagen begegnet, auf denen mehrere Bauern lagen; zuweilen hing ein abgebleichtes langhaariges Haupt hinter dem Wagen herab zur Erde und schleppte nach; die Pferde, wie sie vor Equipagen zu thun gelernt haben, bogen meinem Wagen von fern schon aus und gingen dann wieder in den Weg, ohne daß sich Jemand um sie bekümmert hätte‘.

Ludwig Avenarius hat das ganz anders erlebt. Er schreibt: ‚Um den gemeinen Mann, besonders den Landmann, genau zu beobachten und kennen zu lernen, habe ich fast jeden Wochenmarkt in Königsberg, welcher von den Landleuten auf dem Umkreis von sechs Meilen sehr zahlreich frequentirt wird, wenn ich anwesend war, besucht, bin forschend und beobachtend unter dem dicksten Haufen umhergegangen, aber ich habe keinen einzigen nachtheiligen Charakterzug dieser Leute bemerkt.

Große Ruhe, Bescheidenheit und Verträglichkeit zeichnet fortwährend diese große Menschenmasse aus, und wenn ja einer sich an Branntwein gütlich gethan haben mochte, so war es nicht zu bemerken. In dem, was ich hier selbst gesehen und beobachtet, haben mich die auf das Sorgfältigste eingezogenen Erkundigungen bestätigt, und mein günstiges Urtheil über den dortigen gemeinen Mann bestärkt und fest begründet. Auch sein Aeußeres entspricht diesem Allen. Sein Anzug ist einfach, aber reinlich und ordentlich, und stehet dem unserer Landleute ebenso wenig nach, als ihre Wohnungen, die vielleicht vor denen des geringen Bauern unserer hiesigen Gegend noch den Vorzug haben, daß sie bessere und größere Fenster haben und daher heller und freundlicher sind‘.

Letzlich scheint sich aber auch Herr Zimmermann in Ostpreußen wohl gefühlt zu haben und rät abschließend:

Den Ausdruck ‚Puffwagen‚ kannte ich nicht. Hier die Erklärung:

Quelle: ‚Universal Lexikon oder vollständiges encyclopädisches Wörterbuch‘ herausgegeben von H. A. Pierer; Altenburg 1835

 

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Eine Antwort zu Die Ostpreußen und der Branntwein

  1. Jens Zimmermann sagt:

    Hallo, sehr gut geortnete Webside. Ich freue mich auch immer etwas über „Onkel Johann Carl David Zimmermann“ im Web zu finden. Das Adelsprädikat erhielt er übrigens von Kaiser Franz II. für die Herrschaft Nehringen in Schwedisch Vorpommern.
    Geboren ist er 1763 in Teschendorf (Mecklenburg) als Sohn des dortigen Erbmüllers und späteren Amtsrates von Wanzka Johann Joachim Zimmermann.

    Mit freundlichen Grüßen
    Jens Zimmermann

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