Von Brooklyn ins Blumenthaler Gefängnis

Viele Schicksale der aus Blumenthal Ausgewanderten sind immer noch nicht gekärt, aber ab und zu entdecke ich Hinweise, die dazu beitragen, ein wenig Licht in ihre Lebensläufe zu bringen.

Vor einigen Tagen habe ich mich auf die Spurensuche von Martin Haesloop begeben, von dem lediglich bekannt war, dass er nach Amerika ausgewandert war. Mittlerweile ist es aufgrund der im Internet zahlreich vorhandenen Quellen möglich, viele Informationen zu finden.

Martin Haesloop wird am 7. August 1855 in Flethe – im Kirchspiel Blumenthal – geboren. Seine Eltern sind der Seefahrer, Kaufmann und Reeder Friedrich Haesloop aus Lüssum und Metta Gesine Schulken aus Beckedorf. Viele Mitglieder der Haesloop- und Schulken-Familien sind in die USA ausgewandert, haben sich u.a. in Charleston, South Carolina, oder in Brooklyn, New York, niedergelassen und Familien gegründet. Noch heute leben viele Nachkommen dieser Auswanderer in den USA.

Martins älterer Bruder Diedrich ist bereits 1870 ausgewandert, 1872 folgt ihm Martin. 1875 wohnen beide Brüder gemeinsam in Brooklyn unter dieser Adresse: Kings, Brooklyn, Ward 22, E.D. 06 (New York, State Census, 1875). Diedrich besitzt einen Spirituosen-Laden, Martin Haesloop ist Maschinist.

Brooklyn_1879

Brooklyn 1879 (Wikipedia)

Diedrich Haesloop kehrt noch einmal in die Heimat zurück und heiratet am 8.3.1883 in der Reformierten Kirche zu Blumenthal Anna Oltmann aus Farge – die Kinder des Ehepaars werden von 1884 bis 1890 in Brooklyn geboren. Annas Mutter, Henrike Oltmann, geb. Dewers wird im Census von 1900 mit im Haushalt von Diedrich Haesloop aufgeführt. Auch sie hat Blumenthal demnach verlassen.

Martin Haesloop heiratet am 19. August 1885 in Brooklyn zunächst Anna Christina van Damm, eine Tochter von Henry William van Damm aus Brooklyn, der dort am 23.9.1882 verstarb.

AnnaChristinavanDamm

Ausschnitt aus dem Testament von Henry William van Damm (Quelle: FamilySearch)

Bekannt sind zwei Kinder dieses Ehepaars: Friedrich Hinrich Haesloop, geboren am 11. Juni 1886 und Henriette Margarethe Haesloop, geboren am 24. Dezember 1887. Beide werden in Brooklyn geboren. Friedrich Hinrich verstirbt bereits nach einigen Monaten.

1885: Diedrich Haesloop ist Spirituosenhändler und als solcher offenbar sehr erfolgreich. Die Haesloop-Einträge im Adressbuch von Brooklyn aus dem Jahr 1885 zeigen, dass mittlerweile mehrere Familienmitglieder ihn unterstützen.

Brooklyn_1885_Adressbuch

Auch Martin Haesloop beteiligt sich an diesem Familienunternehmen.

Bei einem Besuch der Familie in Blumenthal im September 1894 gerät Martin Haesloop – inzwischen angesehener Bürger in Brooklyn – für kurze Zeit in die Fänge der Justiz. Am 21.9.1894 erscheint in der ‚Sun‘ ein Artikel mit der Überschrift:

MartinHaesloop_Jail (2)

‚Er versäumte es, seine Ankunft in Deutschland zu melden und wurde inhaftiert. Martin Haesloop, Sekretär des Spirituosen-Händlerverbandes in Brooklyn, kam gestern mit dem Schiff Aller des Norddtsch. Lloyd aus Europa zurück.

Eine seiner Erfahrungen in Deutschland war höchst unerfreulich. Er segelte am 30 Juni nach Europa. Eine Delegation Brooklyner Bürger verabschiedete ihn mit einem Bankett und einer Musikkapelle …‘ Er reiste mit der ‚Kaiser Wilhelm‘. Am 12. Juli kam er in Bremerhaven an und nachdem er die Fahrt bezahlt hatte, um seinen Bruder George in Blumenthal, Hannover, zu besuchen, fuhr er zwei Wochen lang durch Norddeutschland und kehrte am 26. Juli nach Blumenthal zurück

Früh am nächsten Morgen tauchte eine Gruppe von Polizisten vor dem Haus von Haesloops Bruders auf , man holte Herrn Haesloop aus dem Bett und nahm ihn mit ins Gefängnis. Dort wurde ihm mitgeteilt, er sei inhaftiert worden, da er es versäumt habe, die deutschen Behörden über seine Ankunft zu informieren. Er protestierte und erklärte, er sei amerikanischer Bürger – und dies seit 25 Jahren. Er legte einen Ausweis vor, der vom Sekretär des Staates Gresham unterzeichnet war und seine amerikanischen Einbürgerungspapiere. Sein Protest wurde jedoch nicht gehört.

Am folgenden Tag wurde er Richter Bert(h)old vorgeführt. Der Magistrat teilte Haesloop mit, er müsse das Land innerhalb von 24 Stunden verlassen. ‚Ich weigere mich, zu gehen‘, sagte er, ‚hier ist mein Pass‘.

Liest man den Artikel weiter, erfährt man, dass der amerikanische Konsul in Bremen eingeschaltet und Martin Haesloops Aufenthaltsfrist in Blumenthal verlängert wurde – er durfte nun 14 Tage bei seiner Familie in der ‚alten Heimat’bleiben – in etwa so lange wie er für die gesamte Überfahrt benötigt hatte!

Der Zeitungsartikel endet wir folgt: ‚Haesloops Rückkehr nach Brooklyn wurde gestern abend in seinem Haus in der Pierrepont Str. 159 gehörig gefeiert‚. Martin Haesloop, mittlerweile ein angesehener Bürger in Brooklyn, beschließt nach diesem Erlebnis: ‚Ich möchte Deutschland nicht wiedersehen‘.

Martin Haesloop hat seine Meinung allerdings irgendwann geändert. 1903 – etwa 5 Jahre nach dem Tod seiner Mutter – kehrt er noch einmal nach Bremen zurück. Vom 31. Januar bis zum 13. Februar fährt er mit der S.S. Neckar des Norddeutschen Lloyd zurück nach New York.

Der weitere Lebensweg in Stichworten: Anna Christina Haesloop, geb. van Damm muss vor 1892 verstorben sein, denn am 12 Juli 1892 heiratet Martin Haesloop ein zweites Mal, und zwar Caroline, ‘die Witwe von John Lang, der eines der bekanntesten alten Wirtshäuser in der Pilling Street in der Nähe von Fulton in Brooklyn führte, das vor 30 Jahren als Treffpunkt des berühmten Lobster Clubs diente’. Aus einem späteren Zeitungsartikel ist auch der Name des Wirtshauses zu erfahren. Es heißt: “Hole in the Wall“. Jong A. Lang stammt ursprünglich aus Odenhausen, Kreis Grünberg in Hessen. Er war am 2.1.1890 in Brooklyn verstorben. Am 4. März 1899 verstirbt auch Martin Haesloops zweite Ehefrau.

Er heiratet erneut. Martins dritte Ehefrau wird Johanna Weaver, geb. Koch Witwe des Sandy Hook Piloten Henry L. Weaver, der im April 1902 in in der Rutledge Street Nr. 184 in Brooklyn verstorben war. 1905 wohnt Familie Haesloop unter dieser Adresse – Martin ist mittlerweile als Immoblien-Makler tätig, die 17-jährige Tochter Henriette aus erster Ehe lebt noch zu Hause.

RutledgeStreet_Brooklyn

Möglicherweise ist es dieses Haus in der Rutledge Street, in dem Martin Haesloop 1905 lebte. (Quelle: Google Street View)

Am 24. November 1920 erscheint in der Zeitung ‚The Brooklyn Daily Eagle‘ ein Bericht über Martin Haesloops Tod.

‚Am Montag (dem 22.11.1920) starb Martin Haesloop, 65 Jahre alt, aus der Pilling Street Nr. 2, Immoblien-Makler mit Büro am 1989 Atlantic ave, früher allgemein bekannter Wein- und Spirituosenhändler und jahrelanger Sekretär der Brooklyner Spirituosenhändler-Gesellschaft. Seine Beerdigungsfeier fand gestern Abend statt, die Bestattung heute auf dem Lutherischen Friedhof. Herr Haesloop wurde in Blumenthal, Deutschland, geboren und war 46 Jahre lang Bürger von Brooklyn. Er heiratete die Witwe von John Lang, der eines der bekanntesten alten Wirtshäuser in der Pilling Street in der Nähe von Fulton in Brooklyn führte, das vor 30 Jahren als Treffpunkt des berühmten Lobster Clubs diente. Er führte diese Schenke bis vor 20 Jahren, bis er Immoblien-Makler wurde. Herr Haesloop war Mitglied der St. Albans Lodge No. 56, F. & A.M., and Brooklyn Lodge No. 22, B, P.O. Elks. Er war zum zweiten Mal verheiratet mit Frau Johanna Koch Weaver, der Witwe eines Piloten aus Sandy Hook, die ihn überlebt hat – ebenso eine Tochter, Mrs George Schmidt und ein Bruder, Diedrich Haesloop‘.

MartinHaesloop_Todesanzeige

Auch George Schmidt, der in diesem Nachruf erwähnte Schwiegersohn Martin Haesloops – Ehemann seiner Tochter Henriette Margarethe Haesloop – stammt aus Deutschland. Er wurde am 21 Juli 1888 in Osterholz-Scharmbeck geboren. George Schmidt und Henriette Margarethe Haesloop hatten am 31 März 1915 in Brooklyn geheiratet.

Am 2. Juli 1928 stirbt auch Diedrich Haesloop im Alter von 80 Jahren in Brooklyn. Im ‚Brookly Daily Eagle erscheint am folgenden Tag dieser Nachruf:

DIEDRICH HAESLOOP DIES. Diedrich Haesloop of 3405 Newkirk ave., an inspector in the Highways Department, and who was a wellknown figure in the Boro Hail section and brother of the late Martin Haesloop, owner of the „Hole in the Wall,“ died yesterday at his home, after an illness of five weeks, in his 80th year. He was a life member of the Madison Club, and belonged to the Society of Old Brooklynites and St. Alban’s Lodge, F. & A. M. He is survived by a daughter and a son. Services will be held at his late home tomorrow night at 8 o’clock.

Zu den Nachfahren von Diedrich Haesloop besteht seit einiger Zeit Kontakt.

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1 Antwort zu Von Brooklyn ins Blumenthaler Gefängnis

  1. C. Eberle sagt:

    Danke für diesen interessanten Beitrag.

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