‚Das peinliche Halsgericht zu Blumenthal‘

Vielleicht haben auch meine Rönnebecker und Blumenthaler Vorfahren ab und zu geschmuggelt; viele von ihnen waren Weser-Kahnschiffer und transportierten die aus Übersee importierten Waren auf ihren Kähnen – die Gelegenheit war also günstig. Geschmuggelt wurde damals viel – vor allem Kaffee, Tabak, Rum und Salz.

weserkahn

Weserkahn (Quelle: www.historisches-museum-bremerhaven.de)

Bestimmt aber kannten meine Vorfahren die Regulets, deren Schmuggel-Tour auf der Weser ein gruseliges Ende nahm:

‚In der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1849 zwischen 11 und 12 Uhr sahen die beiden Oldenburgischen Steuerbeamten Meintz und Sturm, welche an der Weser auf der Oldenburgischen Seite in der Nähe der Warflether Kirche sich befanden, auf dem Flusse ein Fahrzeug, worin zwei Männer, die Richtung von Vegesack nach Reckum (=Rekum) nehmen. Als das Fahrzeug in ihrer Nähe war, hörten sie, daß der eine jener Männer heftige Drohworte auf einen Hannoverschen Steuerbeamten, Wehe, ausstieß, worauf auf eine tödtliche Absicht geschlossen werden mußte.

Nachdem die Steuerbeamten einen Kahn aufgefunden hatten, begaben sie sich darin in derselben Richtung, welche jene Beiden im Fahrzeuge eingeschlagen, die Weser hinab, als sie, bald nachdem die Kirchthurmuhr die nahe Mitternachtsstunde verkündet hatte, einen lange aushaltenden Schrei vom Hannoverschen Ufer hörten. Sie landeten und fanden nach längerem Suchen die Leiche des Wehe, am Kopfe auf das Schrecklichste verstümmelt, ohne Spur des Lebens. Die nachher vorgenommene gerichtliche Besichtigung ergab am Kopfe vier Stich- und drei Schnittwunden, wovon eine an der linken Schläfe und die übrigen am Hinterkopfe‘.

So beginnt der Bericht über einen Mordfall, der damals in meiner Blumenthaler Heimat – und sicherlich weit darüber hinaus – viel Aufsehen erregte. Dieser Bericht, die Schilderung der anschließenden Gerichtsverhandlung und der Hinrichtung des Verurteilten entdeckte ich in der ‚Hannoversche(n) Gerichtszeitung für Schwurgerichte‚; Stade 1850.

Gerichtszeitung– mit einem Klick gelangt man zu der von Google digitalisierten Ausgabe –

Schon zu Beginn der Ermittlungen richtet sich Verdacht gegen ‚zwei bekannte Schmuggler, Regulett Vater und Sohn aus Reckum, deren Kahn am folgenden Morgen in der Nähe des Mordplatzes auf der Weser am Ufer befestigt gefunden ward und deren Wohnung höchstens vier bis fünf Minuten von diesem Platze entfernt liegt. Beide wurden schon am ersten Tage (14. Juli) verhaftet‘.

Der genannte Vater ist Johann Ludwig Regulet, sein Sohn Johann Heinrich. Der Name Regulet (auch Regulett oder Reguleth) ist ganz untypisch für diese Gegend – vermutlich ist Johann Regulet (Vater des Johann Ludwig), als dessen Beruf ‚Musketier‘ angegeben wird, als solcher irgendwann vor 1800 im Kirchspiel Blumenthal gelandet.

Johann Ludwig Regulet wird am 8. Juni 1801 in Rönnebeck geboren. Seine erste Ehefrau, Sophia Elisabeth Bellmer, die er am 24. November 1822 in der Reformierten Kirche in Blumenthal geheiratet hat, verstirbt bereits wenige Monate nach der Eheschließung. Am 14.11.1823 heiratet er Gesche Heins aus Vorbruch. Johann Ludwig Regulet arbeitet als Reepschläger und Seiler in Neu-Rönnebeck, wo von 1825 bis 1832 seine 4 Kinder geboren werden. Johann Heinrich Regulet ist der älteste Sohn, der am 10. Juni 1825 zur Welt kommt. Ab 1842 wohnt die Familie in Rekum.

Vom 1. bis 4. Mai 1850 findet am Schwurgerichtshof in Stade die Verhandlung gegen Johann Ludwig Regulet und seinen Sohn statt. 28 Sachverständige und Zeugen werden gehört, u.a. :

  • Wilhelmine Wehe, die Witwe des Getöteten
  • Dr. Tasche, Landphysicus
  • Bauer Bischof aus Rekum
  • Frau Kühlcke, die in Rekum eine Gastwirtschaft führt
  • Hinrich Morisse, Landwirt in Rekum
  • Hinrich Lindemann, Zimmermann in Rekum
  • Ernst Seebeck, Schuhmacher in Rekum
  • Johann Bruns, dessen Geselle
  • Johann Hohn, Landwirt zu Rekum
  • Emilie Mengers, Arbeiterin in Rekum
  • Friedrich Gloistein, Gastwirt in Vorbruch
  • Johann Schneider, Oldenburgischer Schiffer
  • Christoph Schwanewede jun. u. sen., Schlachter in Rekum
  • Anna Meyer, Nachbarin der Angeklagten
  • Frau Harms aus Elsfleth

Auch Beta Regulet, die damals 17jährige Tochter bzw. Schwester der Angeklagten, muss aussagen. All das – sowie die Verteidigungsrede und die Entgegnungen des Staatsanwalts – ist ausführlich nachzulesen. Letztlich werden sowohl Johann Ludwig Regulet als auch Johann Heinrich verurteilt: der Sohn: ‚zur Strafe des Todes mittels Enthauptung durch das Schwert‘, der Vater zu lebenslänglicher Kettenstrafe.

Am 20. August 1850 wirddas peinliche Halsgericht zu Blumenthal auf dem Vorhofe des Gefangenhauses … abgehalten‘. Der gesamte Ablauf wird von verschiedenen Personen detailliert geschildert. Hier einige Auszüge: ‚Morgens 6 Uhr wird das Gericht vom Kirchthurme zu Blumenthal herab eingeläutet, und dieses Geläute wiederholt sich um 8 und kurz vor 10 Uhr, jedesmal während 5 Minuten‘.  – ‚Eine sehr große Menschenmenge hatte sich vor und in der Nähe des Gefangenhauses eingefunden; es wurde das Terrain … durch Cavallerie und Infanterie vor Zudrange derselben geschützt‚. – Amtsvoigt Rohr zu Neuenkirchen hatte bereits den Richtplatz mit Pfählen und Seilen absperren lassen und der Verurteilte war frühmorgens mit ‚weißem Beinkleide, weißem Kittel und weißer Mütze mit schwarzem Besatze‘ eingekleidet worden. Superintendet Ruperti aus Lesum und Pastor Brüning aus Osterholz standen dem Verurteilten bei und sprachen ihm geistlichen Trost zu.

Als sich die 4 Wagen (ein Vierspänner mit dem Verurteilten und beiden Predigern – der Wagen des Schafrichters – der Wagen der Gerichtspersonen und des Landphysicus sowie ein Wagen für den Rücktransport der Prediger) in Blumenthal in Bewegung setzt, läuten die Kirchenglocken erneut. ‚Der Weg bis zu dem, zwischen Rekum und Farge liegenden, Richthügel dauerte eine kleine Stunde und war wegen des sehr stürmischen Wetters, Regens, Bltzes, Donners und Hagels, ein sehr beschwerlicher und anstrengender. … Nachdem man auf dem Richthügel angelangt war, und der starke Regen etwas nachgelasen hatte, trennte der Scharfrichter Schwarz mit einem einzigen Hiebe das Haupt des Delinquenten meisterhaft vom Rumpfe. Johann Heinrich Regulett benahm sich bei dieser ganzen Scene gesetzt und allem Anschein nach reumüthig. Die Geistlichen wichen bis zum letzten Augenblicke nicht von ihm. Pastor Brüning sprach einige Worte vor der Hinrichtung, Superintendent Ruperti hielt eine Rede unmittelbar nach der Execution. Die Leiche des Hingerichteten wurde nach diesem sofort auf dem Richtplatze beerdigt …‘.

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