Große Hungersnot in Ostpreußen (1867)

Aufgrund extrem schlechter Witterungsverhältnisse und nachfolgender Missernte bricht im Jahr 1867 in Ostpreußen eine furchtbare Hungersnot aus, die viele Opfer fordert. Auch im Kreis Pr. Eylau, in dem meine Vorfahren leben, ist die Not groß.

‚Die Kirchenchronik von Borken bei Bartenstein, Kreis Pr.-Eylau, die in einer Abschrift aus dem Jahre 1927 zufällig gerettet worden ist, berichtet über das Notjahr 1867:

Dieses Jahr wurde ein sehr trauriges. Fast ununterbrochen vom März bis November währende Regengüsse bewirkten in Ostpreußen und Westpreußen bis zur Weichsel einen vollständigen Misswuchs aller Feld- und Gartenfrüchte. Die Not war furchtbar. Ganz Deutschland sammelte für die hungernden Altpreußen. In Masuren brach Hungertyphus aus, der viele Opfer kostete. Ein Denkmal jener traurigen Zeit ist das masurische Waisenhaus in Lötzen. Es ist ein Knabenwaisenhaus, während die Mädchen in dem Graf Lehndorffschen Waisenhaus zu Rosengarten – zu den Steinortschen Gütern gehörig – untergebracht wurden. Mehrere masurische Waisenkinder nahm der hierher geeilte Pastor Engelbert in sein Diakonen- und Waisenhaus zu Duisburg (Rheinprovinz) mit.

Auch im Kirchspiel Borken musste für die Armen in den Dörfern Spittehnen und Ardappen gesorgt werden. In der Schule zu Spittehnen wurde eine Suppenanstalt eingerichtet. Die Kinder wurden teils in dem Schullokale zu Mittag gespeist, teils nahmen die aus gänzlich armen Familien kommenden Kinder das Essen mit nach Hause. Die Suppenanstalt in Spittehnen trat ins Leben Anfang des Jahres 1868, als die armen Leute nichts mehr an Viktualien hatten und wurde bis Mai desselben Jahres fortgesetzt. – Im folgenden Jahr (1868) war eine große Dürre während des ganzen Sommers, so dass die Futterkräuter missrieten. … Soweit die Borker Kirchenchronik‘. 

(Quelle: Ostpreußenblatt, März 1955)

In Spittehnen wohnen um diese Zeit Rudolph Westphal und Auguste Wilhelmina Friederica Ankermann. Rudolph Westphal ist Besitzer der Mühle in Spittehnen – ihr Sohn Hugo Westphal kommt im April des Jahres 1867 in Spittehnen zur Welt. Aus dieser Familie haben alle überlebt – als Mühlenbesitzer hatte Rudolph Westphal vermutlich einige Vorräte, von denen die Familie zehren konnte.

Zu Beginn des Jahre 1868 teilt der Landrat im Kreisblatt mit, dass der Kreis den Bewohnern Darlehen zur Beschaffung neuer Saat für die Bestellung der Felder gewährt.

Kreisblatt_1868_Darlehen

Der Hunger führt dazu, dass viele Menschen bettelnd durch die Lande ziehen. Die Ortsvorstände werden aufgefordert, die Bettelei zu unterbinden und umherziehende Bettler an ihren Wohnort zurück zu schicken. Hilfsbedürftige Familien werden von wohltätigen Organisationen und vom Kreis unterstützt. Allein das Rote Kreuz verteilt im Winter 1867 in Ostpreußen etwa 3 Millionen Essensportionen sowie Kleidung und Brennmaterialien.

Betteln_1868

Kreisblatt_Januar_1868

Bei der Witwe Friederike Neumann in Landsberg wird ein Sack mit Speisekartoffeln beschlagnahmt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die Kartoffeln gestohlen wurden – falls dies wirklich so gewesen sein sollte, wird auch hier der Hunger wohl ursächlich gewesen sein.

Neumaann_Landsberg_1868

Hunger und mangelnde hygienische Verhältnisse führen zudem zum Ausbruch der Typhus-Krankheit. Größere Versammlungen von Menschen werden vermieden. Im Februar 1868 wird deshalb zum Beispiel der Viehmarkt in Bartenstein abgesagt.

Typhus_1868_2

Im Kirchspiel Eichhorn, Pr. Eylau sterben in den Jahren 1868 und 1869 insgesamt sieben Personen an Typhus. Bei ungewöhnlich vielen Kleinkindern wird im Kirchenbuch als Todesursache ‚Schwäche‚ angegeben – auch das hängt vermutlich mit der auch in diesem Kirchspiel herrschenden Hungersnot zusammen.

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