‚Bevor die Elbe an der alten wehrhaften Stadt Torgau vorüberfließt, aus deren Mitte die Türme von Schloß Hartenfels weithin sichtbar hinausragen, durchzieht sie in weiten Windungen ein weites Wiesenland. Einzelne uralte Pappeln stehen dort als Wahrzeichen einer vergangenen Zeit. Hier, nicht weit vom östlichen Flußufer, jenseits des Elbdammes, liegt Graditz, mein Geburtsort.‘
Graf Siegfried Lehnhoff ‚, Ein Leben mit Pferden‘, Hannover 1956
Graditz wird bereits 1611 erstmalig als Gestüt erwähnt und ist damit das älteste aller deutschen Gestüte.
In Graditz kommt nicht nur Herr Lehndorff zur Welt – auch einige meiner Vorfahren werden hier geboren – u.a. am 20. Mai 1769 Johanna Rosina Springefeld. Und sowohl ihr Vater Johann George Springefeld als auch ihre Mutter Johanna Maria Raum stammen aus Graditz. Am 23.11.1758 heiraten sie in der Kirche von Zschackau.
Der Heiratseintrag enthält zwei Fehler: 1. Der Graditzer Kunstgärtner heißt nicht Johann George, sondern Johann Gottfried Springefeld und 2. ist er nicht der leibliche Vater des Bräutigams – s.u.
Johanna Rosina – die jüngste Tochter des obigen Ehepaars – wächst in Graditz mit drei älteren Geschwistern auf (Johann Gottlob Springefeld *1760 – Maria Sophia Springefeld *1763 und Johanne Elisabeth Springefeld*1767).
Sie ist 4 Jahre alt, als Friedrich August – der damalige Kurfürst von Sachsen – bei seiner Durchreise nach Lichtenberg das Gestüt Graditz besucht. Im Kirchenbuch von Zschackau erwähnt der Pastor dieses Ereignis, da man aus Unwissenheit versäumt hatte, die Glocken zu läuten! Er schreibt: ‚Am 14. October 1773 reisten Sr Churfürstl(iche) Durchl(aucht) unser gnädigster Landesherr, der nebst seiner Frau Gemahlin, hier durch nach Lichtenberg, nachdem Sie vorher das Gestütte in Graditz besehen hatten. Zur Nachricht dienet, daß an denen meisten Orten, wo Sr. Churfürstl. Durchlaucht durchgereiset, mit allen Glocken geläuten worden; welches von hier in Zschackau nicht geschehen, weil man von dieser Gewohnheit keine Wissenschaft hatte.‘
Rosinas ältere Schwester Maria Sophia heiratet am 17. Januar 1790 in Zschackau Johann Gottfried Lindner, einen Bedienten des Graditzer Kammerherrn und Stallmeisters von Lindenau.
Am zweiten Adventssonntag des Jahres 1792 kommt es in der Familie zu einem tragischen Unfall. Maria Sophia Lindner – Rosinas Schwester – wird auf dem Weg von Graditz nach Torgau von einem Frachtwagen erfasst und verunglückt dabei tödlich. Der Pastor von Zschackau schildert den Ablauf:
‚Am 9ten Decembr. ereignete sich ein trauriger Zufall. Gottfried Lindners, Haußgenoßen und Handarbeiters in Graditz Ehefrau ging an diesem Tage /Es war der zweyte Advents Sonntag/ nach Torgau, und da sie um halb 8 Uhr bey dem Schanzen Thor ankommt, fährt eben ein Fracht Wagen durch daßelbe; sie will neben demselben vorbeygehen, der Wagen ergreift sie aber, sie schreyet: Au! läßt aber sonst kein Wort hören. Die über dem Thore stehende Schild-Wache kommt herunter und findet das unglückliche Weib jämmerlich zugerichtet in ihrem Bluthe todt daliegend. Der Fuhrmann, welcher aus Sanau? war, wurde bey angestellter Untersuchung ganz unschuldig befunden. Der Leichnam wurde noch an eben dem Tage des Abends auf dem Gottes Acker in Torgau beerdiget.‘
Johann George Springefeld – Vater der o.g. Kinder – wird am 7.7.1732 in Graditz geboren. Zunächst ist er dort Schankwirt, später wird er als Hausgenosse bezeichnet. Sechs Monate vor seiner Geburt heiratete seine Mutter Maria Christina Engelmann – eine Tochter des in Altbelgern verstorbenen Schiffmüllers Georg Engelmann – den damaligen Graditzer Kunst- und Lustgärtner Johann Gottfried Springefeld, ohne wohl zu wissen, dass sie bereits von einem anderen Mann schwanger war.
Für Johann Gottfried ist dies die zweite Ehe. Seine erste Ehefrau, deren Namen im Kirchenbuch leider nicht erwähnt wird, war zwei Jahre zuvor in Graditz verstorben und dort mit einer Leichenpredigt und Abdankung bestattet worden.
Aus der ersten Ehe stammt Sohn Johann Gottfried Springefeld, der wie sein Vater den Beruf des ‚Kunst- und Lustgärtners‚ ergreift und 1741 – zum Zeitpunkt seiner Eheschließung mit Anna Christiana Grund, einer Tochter des Zimmermanns Christoph Grund aus Torgau – in Dresden lebt.
Geheiratet wird 1732 in Zwethau – der Heiratseintrag von Johann Gottfried Springefeld und Maria Christina Engelmann wird sowohl im Kirchenbuch von Zwethau als auch im Kichenbuch von Zschackau erwähnt. Im KB von Zschackau lautet er: ‚Herr Johann Gottfried Springefeld, Königl(icher) Lust und Baumgärtner in Graditz und Kreischau, ein Witwer, mit Jungfer Maria Christina Engelmannin, weyl(and) Georg Engelmanns, gewesenen Schiff Müllers in Altbelgern hinterlaßene eheleibl(iche) Tochter – hier nur proclamiret‚. –
In Zwethau wurde nachträglich hinzugefügt: ‚Gedachte Engelmannin hat sich nach der Copulation von einem andern schwanger befunden‘.
Den Namen des leiblichen Vaters von Johann George Springefeld erfährt man in seinem Taufeintrag, der wie folgt lautet: ‚den 7. Juli ist von Frau Maria Christina Springefeldin, gebohrne Engelmann, ein Sohn gebohren worden, den Sie zu ihrem Mann, Hrrn Johann Gottfried Springefeld leichtfertiger Weise gebracht, gebohren und dann darauf getaufet worden. Der Nahme ist Johann George ihm gegeben worden, der Mutter … … Bekentnis von diesem Kinde ist: daß dies Kind zum Vater habe Andreas Taube (,) Schreiber auf dem adelichen Guthe Zwethau.‘
Für mich bedeutet dies: zu meinen Vorfahren gehören Johanna Rosina Springefeld, ihr Vater Johann George, jedoch nicht der Kunstgärtner Johann Gottfried Springefeld, sondern Andreas Taube, der Schreiber und spätere Verwalter des Gutes Zwethau. Ich finde ihn 1727 als ‚Bedienten auf dem Herrenhofe‚ – anschließend über mehrere Jahre als Schreiber des Gutes und 1734 als dessen Verwalter.
1727 erscheint auch Maria Christina Engelmann im Zwethauer Kirchenbuch unter den Taufpaten. Sie dient als ‚Köchin auf dem hochadeligen Hofe‘. Dort werden sich Andreas Taube und Maria Christina Engelmann also kennengelernt haben.
Bei der Durchsicht des Zwethauer Kirchenbuchs habe ich mir noch weitere Schreiber bzw. Verwalter des Gutes Zwethau notiert: um 1710 Johann Michael Hempel als Schreiber – 1715 Christian Cobeus – 1716 ist er Verwalter – 1719 als Verwalter Johann Christoph Vogelsang – 1721 Martin Messerschmidt – 1726 Tobias Anthon May (Mey) – im Februar 1730 bekommt dieser einen Sohn namens Carl Friedrich – 1739 muss der Vater verstorben sein – die Witwe wird noch unter den Paten genannt. Nachfolger von Tobias Anthon May wird dann mein Vorfahre Andreas Taube.
Noch einmal zurück nach Graditz …
Unter August dem Starken wird Graditz im Jahre 1722 zum Landesgestüt erhoben. Es sollte vor allem den kurfürstlichen Marstall mit Rassepferden beliefern.
Der Sächsische Hofbaumeister .Matthäus Daniel Pöppelmann – Erbauer des Dresdener Zwingers – wird damit beuftragt, das Gestüt von Grund auf neu zu errichten, nachdem ihm der Kurfürst im März 1722 mitgeteilt hatte: ‚Wir sind gemeynet, bey unserm Forwege Gratitz ein neu Gestütte anlegen und ein neu steinern Gebäude … aufführen zu lassen, und befehlen hiermit, Du der Oberlandbaumeister wollest dich … gnüglich informieren und ohnverzüglich nach Gratitz dich begeben, alles selbst in Augenschein nehmen ….‘ (Quelle: Graf Siegfried Lehnhoff ‚, Ein Leben mit Pferden‘, Hannover 1956)
Johann Gottfried Springefeld ist vermutlich schon um 1722 als Kunstgärtner in Graditz angestellt. Einige Jahre später wird er bereits als Taufpate bei Johanna Maria Riegel genannt, einer Tochter des damaligen Graditzer Vogts Hans George Riegel.
Meine Vorfahrin Johanna Rosina Springefeld lebt nach ihrer Eheschließung mit dem Mousquetier Johann George Philipp in Torgau – ihre Eltern Johanna Maria Raum und Johann George Springefeld versterben 1798 und 1808 in Graditz. Auch Rosinas Großmutter Maria Christina Springefeld, geborene Engelmann und ihr Ehemann Johann Gottfried Springefeld leben bis zu ihrem Tod – 1758 bzw. 1750 – in Graditz.
Leider verliert sich die Spur des Zwethauer Verwalters Andreas Taube – er scheint das Gut vor 1750 verlassen zu haben. Um 1751 heißt der dortige Gutsverwalter Johann Gottfried Richter.
Diesen Baum haben sicherlich auch einige meiner Ahnen bereits gesehen!