Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich gar nicht viel weiß über die Geschichte der Region, in der meine norddeutschen Ahnen lebten und in der ich selbst aufgewachsen bin – die Geschichte des jetzigen Bremen-Nord. Nun arbeite ich mich nach und nach ein!
Da ich historische Zusammenhänge sehr viel besser verstehe, wenn sie
1. mit Leben gefüllt werden – und
2. wenn ich diese Zusammenhänge aufschreibe
verwende ich mein Genealogie-Tagebuch erneut als ‚Merkzettel‚.
Vor allem möchte ich möglichst viel über die Lebensumstände meiner Vorfahren erfahren! Auch bei der Beschäftigung mit meinen ostpreußischen Ahnen habe ich darauf viel Wert gelegt. Deshalb enthält mein Natangen-Buch neben historischen Abläufen viele Berichte über die Lebensverhältnisse der ehemaligen dortigen Bewohner.
Zunächst einmal beschäftige ich mich mit der Burgschanze bei Lesum und der ‚schwedischen Zeit‚ im Herzogtum Bremen. Mehrere meiner Vorfahren haben zu unterschiedlichen Zeiten einen direkten Bezug zur Burgschanze, deshalb interessiert mich deren Geschichte sehr. Und während der Zeit der schwedischen Besetzung leben viele meiner Vorfahren-Familien in diversen Orten und Dörfern des Herzogtums.
Burg bei Bremen – das Zollhaus an der Brücke über die Lesum – fertige und im Bau liegende Schiffe – Bildvorlage von Anton Radl aus dem Jahr 1818/1819 (Quelle: Adam Storck, Ansichten der Freien Hansestadt Bremen und ihrer Umgebung, Schünemann, Bremen 1977)
Der Bremer Lehrer und Heimatkundler Franz Buchenau behauptet:
.Es gibt keinen Fleck Erde in Bremens Nähe, der eine so eigenthümliche Geschichte hat, wie der, auf dem der jetzige Ort Burg sich erhebt ..Der Ort Burg kann in seiner ganzen Existenz nur aus seinerGeschichte begriffen werden; er ist weder ein ackerbautreibendes Dorf, noch ein Flecken oder eine Stadt, in der die umwohnende ländliche Bevölkerung einen Mittelpunkt fände; er ist nur eine Ansiedelung, zu der ein wichtiger Flußübergang den Anstoß gegeben hat.‘ (Franz Buchenau, Die freie Hansestadt Bremen und ihr Gebiet; Bremen, Schünemann 1862)
Im Bremer Sontagsblatt von 1865 finde ich ab Seite 111 Notizen des Pfarrers Johann Melchior Kohlmann aus der ‚Geschichte der Feste und Pfarre zu Burg‚ . Einige Auszüge daraus:
1350 baut man eine hölzerne Brücke und beginnt mit der Errichtung der ersten der insgesamt acht Befestigungen, die jedoch schon nach wenigen Jahren durch kriegerische Auseinandersetzungen wieder zerstört wird. Die zweite Befestigung hält von 1387 bis 1538. Beide Male werden lediglich Türme gebaut.
Nachdem man erkannt hat, welch große Bedeutung dieser Punkt an der Lesum für den Handelsverkehr und für die Kriegsführung hat, errichtet Bremen die erste Schanze. ‚Mit dem Dorfe Burg wird das Fort wohl noch nicht verbunden gewesen sein; die Häuser der Bauern werden noch außerhalb der Gräben und Wälle gelegen haben, so auch Kirche und Pfarrhaus.‘
Am 7. September 1627 wird die Schanze durch die Dänen zerstört – die Bremer kommen jedoch wieder in Besitz des Platzes und bauten sie erneut auf.
Den Dreißigjährigen Krieg übersteht Bremen ziemlich unbeschadet – die Herzogtümer Bremen und Verden werden administrativ vereinigt und den Schweden zugewiesen. Der Verwaltungssitz ist Stade!
Nun wird es turbulent!
1654 kommt es zum Ersten Bremisch-Schwedischen Krieg. Gekämpft wird um die Vorherrschaft im Gebiet des Herzogtums Bremen-Verden und den Status Bremens als freie Reichsstadt. Der Ablauf wird hier genau beschrieben:
Im Ersten Stader Vergleich einigen sich Schweden und die Stadt Bremen, durch die am 28. November 1654 der Erste Bremisch-Schwedische Krieg beendet wurde. Sie wurde in Stade als Verwaltungssitz des Herzogtums Bremen abgeschlossen.
Das Herzogtum Bremen in einer historischen Kartendarstellung aus dem 17. Jahrhundert. Das Amt Ritzebüttel (hamburgisch) und das Land Hadeln (Sachsen-lauenburgisch) sind nicht als externe Territorien kenntlich gemacht, obwohl sie nicht zum Herrschaftsbereich der Bremer Erzbischöfe gehörten. (Archiv der Ritterschaft).
Die Schwedenzeit dauert bis zum Jahr 1719 – aus dieser Zeit sind viele interessante Dokumente erhalten, die sowohl im Staatsarchiv von Stade als auch im Stockholmer Reichsarchiv lagern und teilweise digitalisiert wurden!
Im Stockholmer Archiv entdeckte ich u.a. diese Skizzen
der Burgschanze bei Lesum
Die nachfolgende Zeichnung wird im Staatsarchiv von Stade aufbewahrt:
1666/67 – Abriss der Burgschanze an der Wümme mit umliegendem Gelände zwecks möglicher Erweiterung der Festung bzw. Anlegung einer neuen Stadt – Kolorierte Handzeichnung, unsigniert – entnommen aus der Akte Rep. 5 a Nr. 7614 (alt: Rep. 5a Fach 387 Nr. 8)
Ausschnitt aus obigem Bild
Einen der zahlreichen Ordner des Staatsarchivs Stade aus der Zeit von 1651 bis 1657 habe ich mit großem Interesse Seite für Seite ‚durchgeblättert‚. Enthalten sind überwiegend Briefe, die – von Stade aus – an die verschiedenen Ämter der Herzogtümer Bremen und Verden gesandt wurden.
Man erfährt viel über die damaligen Lebensbedingungen der Landbewohner und ich stelle mir vor, dass auch einige meiner Vorfahren, die um diese Zeit innerhalb des Herzogtums Bremen leben, mit einer Schublade voller Torf oder Holz zur Burgschanze beordert wurden … Und sicherlich werden sie verpflichtet gewesen sein, Proviant und Fourage für die Soldaten und ihre Pferde abzuliefern und sich mit ‚guten Gewehren‘ auszustatten.
Vor 1700 betrifft dies meine Ahnen Hermann Otten, Henrich von der Lieth und Henrich Dreyer in Hinnebeck – Carsten Tietjen in Heesen – Johann Kreye, Johann Siemer, Hinrich Selßen und Berend Bellmer in Schwanewede – Johann Jachens in Holthorst, Ksp Lesum – Arend Burgwall, Cord Voßhall und Henrich Haesloop in Beckedorf – Jacob Steinbrügger in Rönnebeck – Johann Ratjen in Ritterhude – Henrich Seedorf in Lintel, Ksp Scharmbeck – Friedrich Fixen, Hinrich Behnken und Johann Ölrich in Offenwarden Moor – Dietrich Langhaar in Aschwarden – Wohler Ohlsen in Uthlede – Lüder Hinrichsen in Sandstedt – Hinrich Pundt in Vorbruch, Neuenkirchen und Franz Bauerfeindt in Meyenburg – Claus Hancken in Heine
Notizen aus diesem Ordner:
Mai 1653 – Wulbrand Clüver – als Steuereinnehmer der Börde Bramstedt – soll angeben, welche Höfe der dortigen Bauleute unbewohnt sind – auch andere Ämter müssen diese Angaben machen
Verschiedene Amtmänner (aus dem Land Wursten – Lehe – Beverstedt – Viehland) werden ermahnt, da eine Reihe von Personen aus ihrem Gebiet im April bei auf der Weser angegriffenen Schiffen ‚handthätig‘ geworden seien. Sie sollen nach Stade gebracht werden!
Juni 1654 – einige Amtmänner werden aufgefordert, Männer mit ‚ober- und Untergewehr sambt allem zubehöre, auch Schauffeln und Spaden‘nach Ottersberg zu schicken
Juni 1654 – in Stade möchte man wissen, ‚wieviell Bremer Ochsen jetziger Zeit in Osterstade geweidet werden‘ – der Amtmann zu Hagen soll ‚fleißige Obacht geben‘, dass keine Ochsen über die Weser ‚weggeführet werden‘
Kontributionszahlungen sind fällig – manchmal werden auch die Namen der Dorfbewohner genannt
Pferde sollen geliefert werden
es wird Material zum Fortifikations–Bau benötigt! Ermahnungen, weil es mit der Lieferung der Pallisaden nicht klappt und ‚fernerer Verzug nicht zu dulden‚ sei
Juli 1654 – die schwedische Königin ist ‚zu Hamburg glücklich angelanget‘ und den Grafen im Alten Land und im Land Kehdingen wird befohlen, ‚ein und andere Victualien, alß Hüner, Tauben, Fische und dergleichen‘ ‚zur Küche‘ zu liefern
fremde Kriegswerbung wird untersagt
in Buxtehude fehlt Schießpulver
April 1655 – u.a. an Frantz von Schönebeck, Richter zu Lesum: in Lesum und Ritterhude sowie in anderen Ämtern soll eine Zeit lang eine Compagnie des Regiments der Grafen von Waldeck einquartiert werden – die Soldaten sollen verpflegt werden!
20. April 1655 – Maria Eleonore ist gestorben (Maria Eleonora von Brandenburg (* 11. November 1599 in Königsberg; † 28. März 1655 in Stockholm) war eine Prinzessin von Brandenburg und durch Heirat Königin von Schweden) – es wird ‚gebührende Trauer‘, ‚entäußerung aller üppigkeit und pracht in Kleider‘ – ‚einhaltung der Music‚ und ‚leutung der Glocken‚ angeordnet
19.6.: ‚demnach bereits vor einigen Wochen die königliche Leiche in Stockholm beerdiget ‘ kann das Läuten eingestellt werden, aber ‚mit der Music soll auf fernere ordre eingehalten werden‘
Mai 1655 an alle Ämter der Herzogtümer Bremen und Verden: eine ‚ansehnliche Anzahl guter starcker Pferde in behuff der artiglerei‘ muss herbeigeschafft werden
‚Wegen einiger zum Fortificationsbau zur Burg nöhtiger Materialien und Mannschafften‚ werden die umliegenden Börden angeschrieben – u.a. Frantz von Schönebeck, Richter zu Scharmbeck
auch die Börde Beverstedt wird aufgefordert:
Alß auch bey verfertigung der Schantze zur Burg einige Haußleuthe nothwendig erfordert werden, so wird Zugleich Euch hirmit anbefohlen, die anstalt zu machen, daß gegen nechst künfftigen dienstag, wird seyn der 2te Monaths July, frühe Morgens, auß der Böhrde Beverstedte 44 Personen, undt Zwar duchtige Mannschafft, mit Schauffeln und Spaden versehen sich dahin ohnfehlbahr erheben, undt daselbst, was Ihnen alda Zu arbeiten angewiesen wird, mit fleiß verrichten.
Insgesamt werden 200 Mann und viele verschiedene Materialien (u.a. Bretter, Pfähle, Pallisaden und Fassinen ( faschine, f. = fest zusammengeschnürtes reisigbündel, das zur befestigung und sicherung von ufern, wegen, militärischen verteidigungsanlagen o. ä. verwendet wird) angefordert
September 1655 – ein Teil der angeforderten Leute sind nicht erschienen. Warum?
Februar 1656 – wie viele wüste Höfe in der Börde Beverstedt?
Juli – August 1656 – in Bremen u. in anderen Orten des Herzogtums nimmt die ‚Pestlianische Seuche‘ zu – es wird ‚bey höchster straffe‘ befohlen, dass ‚niemandem von Bremen, Er sei wer er wolle, bei anhaltender Seuche der durchzug weder hin noch von Brehmen vergönnet‘ werde.
Juli 1656 – u.a. an Jacob Lundy, den Commandanten der Burg: … ‚so befehlen wir euch hirmit, dass Ihr zur Burg auf die ankommende reisende leuthe fleißige achtung geben lasset’, damit sich die Seuche nicht weiter ausbreitet
September 1656: es muss für den kalten Winter vorgesorgt werden – jede Festung soll mit einem Vorrat an Torf für 3 Monate versorgt werden
September 1656 – für den Transport von Pulver nach Lehe werden Wagen u. Pferde benötigt
Oktober 1656 – Drucksache – soll (wie üblich) von allen Kanzeln verlesen werden!
mehrere Kompagnien werden angekündigt – sie müssen ‚mit einem Nachtlager, auch notdürftigem Bier und brodt‘ versehen werden
zur Abführung der 3 Kompagnien Schotten werden Schiffe benötigt
Januar 1657 – der Regiments-Quartiermeister beabsichtigt, sich mit 16 Reitern zur Werbung von Soldaten von Stade aus nach Holland zu begeben – sein Weg wird beschrieben, damit er versorgt werden kann
März 1657 – ohne Vorzeigen eines Passes der königl. Regierung dürfen keine Waren aus dem Hafen an der Elbe gefahren werden
März 1657 – Festungen u. Garnisonen sind ‚ohnverzüglich‘ mit Torf u. Holz zu beliefern
März 1657 – die Börde Oldendorf soll 4 Kälber, 6 Hammel, 6 Lämmer, 12 Hühner u. 4 Schock Eier zu Feldmarschall Carl Gustav Wrangel nach Bremervörde liefern – auch andere Ämter werden angeschrieben
März 1657 – verschiedene Festungen brauchen Pallisaden und Pfähle
März 1657 – es müssen Wagen und Sch(a)ubkarren in die Schanzen geliefert werden – 9 Wagen und 150 aus der Börde Lesum und Scharmbeck nach Burg!
März 1657 – der ‚Fortificationsbau‘ erfordert an verschiedenen Stellen‚eine ziembliche Mannschafft uff eine Zeitlang‘– nach Burg werden 100 Leute geschickt
Mai 1657 – an die Grafen des Alten Landes, des Landes Kehdingen, Amtsvogt des Landes Wursten, Amtmann zu Hagen wegen Osterstade – man soll die Gewehre der Eingesessenen prüfen, ‚damit, wenn von den benachbahrten etwas feindliches tentiret werden solte‘ man zu ‚behöriger gegenwehr‘ greifen kann!
Mai 1657 – ‚bey gegenwertigen Zeiten‘ sollen die Fährleute ihre Prahme (flache Fähren zum Übersetzen von Menschen, Vieh und Wagen – eines der kleinsten Schiffe, das Waren transportierte) ans Land ziehen und mit eisernen Ketten befestigen
Mai 1657 – man hat erfahren, ‚dass verschiedene Reuther nach eigenem belieben auß den Quartieren bald hir, bald dorthin auffs Land .. reiten und den frembden reisenden sowohl als Einheimischen und Hausleuthen, welche ihnen unterwegens begegnen, das Ihrige abnehmen‘ … Die Offiziere werden angewiesen, besser aufzupassen!
Schreiben an verschiedene Ämter, dass die Eingesessenen Proviant und Fourage abliefern sollen und dass ihnen dies ‚nach billigem werth‘ angerechnet werden soll.
Schreiben nach Lesum, Osterholz u. Verden: dem königlichen Proviantmeister, Zoll- u. Accise-Inspektor Martin Hempel sollen Wagen und Pferde zur Verfügung gestellt werden
Mai 1657 – es müssen einige Tonnen mit Pech und Teer zur Burg gebracht werden – ‚hergegen von dannen eine Anzahl Musqueten und Kugeln nebst einem Protzwagen‘ – benötigt werden: ein Wagen für Pech und Teer – sieben Wagen mit Pferden für die Kugeln und zwei ledige Pferde für den Protzwagen!
Mai 1657: in Burg werden noch mehr Materialien benötigt – alle Ämter werden aufgefordert, ‚daß sie dem Commandanten zur Burgh Herrn Baron Forbes uff jedesmahliges begehrenso viell holtz oder Materialien, alß er noch zu dem Vestungs Bau daselbst nöthig haben wird, ohnerwartet einiger fernerer verordnung ohnverzüglich abfolgen laßen‘
Juni 1657 – man hat gehört, dass die dänische Armee kommt – es soll ‚gute Wacht‘ gehalten werden
1. August 1657 – u.a. an die Ämter Hagen u. Osterstade, Osterholz, Scharmbeck, Lesum u. Stotel: die Eingesessenen sollen mit guten Gewehren ausgestattet werden und sich dort, wo es nötig ist, zur Musterung stellen
Dezember 1657 – Schreiben an alle Ämter: auf speziellen Befehl des Königs sollen sämtliche Beamte, Vögte u. andere Bediente am 15. Januar 1658 in Stade erscheinen!