Der ‚Eisengefangene‘ Johann Adam Schaumlöffel

Felsberg – Merian

Johann Adam Schaumlöffel kommt am 5. Februar 1787 in der hessischen Stadt Felsberg zur Welt. Er wird Schneidermeister – wie bereits sein Vater Johann George und sein Onkel Johann Conrad Schaumlöffel (mein Urgroßvater 5. Grades), der seine hessische Heimat jedoch verlässt, viele Jahre als Soldat dient und sich letztlich in Bremen-Nord niederlässt, wo er außer mir zahlreiche Nachkommen hinterlässt.

1787 – Taufeintrag im KB von Felsberg

Johann Adam hat insgesamt neun Geschwister, von denen mindestens zwei bereits im Kleinkindalter versterben. Seine Brüder Johannes, Johann George und Heinrich leben wie er in Felsberg und üben das Schneidergewerbe aus.

Im Jahre 1797 findet vor dem Felsberger Stadtgericht eine Verhandlung statt, da Vater Johann George offenbar Schulden bei der Schneidergilde zu Felsberg hat. die er nicht bezahlen kann. Die Familie muss ihr Haus am Oberthor ’nebst dem dahinter gelegenen Garten‘ verkaufen. (Quelle: StA Marburg, Best. 76b Nr. 331)

Vater Johann George erlebt 1823 noch mit, dass Adam in der Felsberger Kirche Christine Dietrich heiraet, eine uneheliche Tochter von Magdalene Fennel, die später den Felsberger Glasermeister Jacob Rosenblatt ehelicht. Nur wenige Monate nach der Hochzeit verstirbt Adams Vater. Seine Mutter Anna Maria Loeber, die einer Felsberger Bäckerfamilie entstammt, verliert er bereits im April 1827.

KB Felsberg 1828 – 2. Eheschließung

1827 – vier Jahre nach der Hochzeit und den Geburten der Kinder Magdalene und Jacob – verstirbt auch Adams Ehefrau. 1828 schließt er eine zweite Ehe mit Agnese Elisabeth Rosenblatt, einer Tochter des Glasermeisters Johann Adam Rosenblatt und dessen Ehefrau Rebecca Buch. Sie ist die Schwester des Ehemanns seiner ersten Ehefrau. 1828 und 1830 kommen zwei weitere Schaumlöffel-Kinder zur Welt.

Zu dieser Zeit wohnt die Familie in der Felsberger Untergasse Nr. 74. Auch Adams Großvater Johannes Schaumlöffel (unser gemeinsamer Vorfahre) lebt 1759 schon in der Untergasse.

Die Aufregung innnerhalb der Familie wird groß gewesen sein, als Adam Schaumlöffel auf die ’schiefe Bahn‘ gerät. Nachdem er mehrfach wegen Diebstahls bestraft wurde und fliehen konnte, wird er 1837 vom Kreisamt Melsungen alsgemeinschädlicher Umhertreiber gesucht!

Wann genau Adam aufgegriffen und inhaftiert wird, konnte ich nicht herausfinden. Sicher ist jedoch, dass er schließlich als ‚Eisengefangener‚ im Marburger Stockhaus landet und dort sicherlich mehrere Jahre verbringt.

Am 14. September 1843 verstirbt er dort im Alter von 66 Jahren. Dies ist sein Sterbeeintrag aus dem Kirchenbuch der reformierten Marburger Gemeinde:

Marburg, Stadthaus auf dem Schloße – Adam Schaumloeffel, Eisengefangener aus Felsberg, des dasigen Schneidermeisters Johann Georg Schaumloeffel und dessen Ehefrau Anna Maria, geborene Loeber Sohn; unverheirathet. Adams Leichnam wird an die Anatomie abgegeben.

Agnese Elisabeth Schaumlöffel, geborene Rosenblatt, wohnt noch bis 1847 in der Felsberger Untergasse Nr. 75 und obwohl in Adams Sterbeeintrag angegeben wird, dass er unverheiratet sei, enthält ihr Sterbeeintrag weder einen Vermerk auf eine vollzogene Scheidung noch einen Hinweis auf den bereits erfolgten Tod ihres Ehemanns.

KB Felsberg – 14.7.1847
A.Savin, Wikipedia

Über das Gefängnis im Marburger Schloss

Bevor das Marburger Schloss ab dem Jahre 1817 als Stockhaus für Eisensträflinge eingerichtet wurde, bestimmte die westphälische Administration 1809 einen Teil des Südflügels zur Nutzung als Gefängnis. Wenig später erfolgte aufgrund eines Dekrets vom 9.9.1811 im Wilhelmsbau die Einrichtung einer Besserungsanstalt. Im Stockhaus wurden zunächst vorzugsweise zu lebenslanger Haft verurteilte Schwerverbrecher, also Eisensträflinge 1. Klasse, untergebracht. Es folgten später auch Eisensträflinge, die zu zeitlichen Strafen verurteilt worden waren. Daneben diente das Schloss auch als Untersuchungsgefängnis. Das Stockhaus in Marburg (seit 1867 galt die einheitliche Bezeichnung ‚Strafanstalten‘) wurde am 31.3.1869 geschlossen, nachdem die dortigen Gefangenen der Kasseler Anstalt an der Fulda zugeführt worden waren. (Quelle: https://arcinsys.hessen.de/arcinsys/showFondsDetails?fondsId=4311)

StA Marburg Karten

Der Historiker Hubert Kolling hat sich intensiv mit dem Alltag der Gefangenen im Marburger Stockhaus beschäftigt. Die folgenden Auszüge stammen aus einem Vortrag, den er 2023 im Staatsarchiv Marburg hielt. So können wir uns vorstellen, wie Johann Adam Schaumlöffel dort untergebracht war.

‚Während die Gefangenen der ersten Klasse an beiden Füßen eine 2 ¼ bis 3 ½ Fuß lange und jeweils acht Pfund schwere Kette tragen mussten, die am Knöchel mit einer vernieteten Schelle versehen war, trugen die zur zweiten und dritten Klasse Verurteilten lediglich eine – ebenfalls acht Pfund schwere – Kette am rechten Fuß. Das Anlegen der „Eisen“ sollte einerseits eine Flucht verhindern, andererseits den Sträflingen die Ausübung von Arbeiten ermöglichen

Marquis de Sade in Ketten

Die Hausordnung war streng und musste genau befolgt werden. Hubert Kolling schreibt: „Demnach hatten sich die Gefangenen „eines ruhigen, stillen und anständigen Betragens zu befleißigen, sie dürfen weder raufen, singen, pfeifen noch sonst etwas treiben, was gegen Ordnung und Schicklichkeit verstößt, auch ist aller Verkehr unter sich verboten, vor Allem aber [haben sie] untereinander in Frieden zu leben, den Befehlen der Vorgesetzten der Anstalt, insbesondere aber denen des Inspectors und des Stockmeisters sowie den Weisungen der Unteraufseher unbedingt folge zu leisten, auch sind sie den Garnisons-Soldaten Folgsamkeit schuldig, wenn sie diesen zur Bewachung an den öffentlichen Arbeiten übergeben worden sind“.

Für gewöhnlich wurden die Sträflinge in den Sommermonaten (April bis September)
um 4.30 Uhr und in den Wintermonaten (Oktober bis März) um 5.30 Uhr geweckt.
Erst seit den 1860er Jahren durfte jeweils eine halbe Stunde länger geschlafen werden‘.

An den Sonntagen durften die Gefangenen morgens eine Stunde länger schlafen. Tagsüber mussten sie dann, neben dem Besuch des Gottesdienstes, die Arbeitsräume reinigen, gegebenenfalls ihre Kleider reparieren oder „Erbauungsbücher“ lesen. Selbst der Gang zur Toilette war in diesem Zeitplan genauestens geregelt, nämlich vier Mal täglich und zwar um 6.15 Uhr, 9.30 Uhr, 13.00 Uhr und 16.30 Uhr:

Spätestens seit Ende des 18. Jahrhunderts nahm die Gewöhnung an regelmäßige Arbeit im europäischen Strafvollzug eine zentrale Stellung ein

Zunächst müssen hier die zur Erledigung der täglich anfallenden Arbeiten eingesetzten
sogenannten „Hausarbeiter“ genannt werden, zu denen beispielsweise Köche, Gemüseputzer, Kartoffelschäler, „Lampendiener“, Krankenwärter, Barbiere, Wäscher, Gang– und Hausreiniger sowie sogenannte Schirrarbeiter (Böttcher, Schmiede, Schlosser und Klempner) gehörten.30 Ferner waren im Marburger Stockhaus in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts folgende Beschäftigungszweige etabliert:

  • Bürstenmacher
  • Schreinerarbeiten
  • Drechsler-, Wagner- und Schnitzerarbeiten
  • Blechschmiedearbeiten
  • Schlosserarbeiten
  • Papparbeiten
  • Stroharbeiten
  • Korbmacherarbeiten sowie
  • Nadlerarbeiten

Neben diesen Tätigkeiten innerhalb des Marburger Stockhauses wurden Eisengefangene auch außerhalb der Anstalt zu Arbeiten eingesetzt. Sie übernahmen regelmäßig Arbeiten im Botanischen Garten, in der Renterei, im städtischen Holzmagazin und auf dem herrschaftlichen Fruchtboden oder die Reinigung der Polizei-Direktion; ebenso wie diverse Reparaturen im Auftrag des Landbaumeisters, Reparaturen am Wehr in der Lahn, Regulierungsarbeiten an der Lahn, die Reinigung des Schlossplatzes, die Pflege der Reitbahn sowie diverse Tagelöhnerarbeiten wie beispielsweise Holzzerkleinerung, oder Garten- und Reinigungsarbeiten für Private.

Um die Insassen– hauptsächlich solche Personen, die kurz vor ihrer Entlassung standen – wieder an „eine Arbeit in frischer Luft“ zu gewöhnen, bewirtschafteten jeweils acht bis zehn Gefangene anstaltseigene Ländereien, wie das Gärtchen unterhalb des südlichen Schlossflügels und vier Parzellen unterhalb des Stockhauses, sowie gepachtete Gärten in Schlossnähe mit zusammen 2¾ Morgen Ackerland.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bestand die Verpflegung der Gefangenen täglich in anderthalb Pfund Brot und einem halben Maß mit Speck geschmelzter Suppe, das sogenannte „Gemüse“ sowie an den Sonn- und Feiertagen ½ Pfund Ochsen– oder Rindfleisch. Das besagte „Gemüse“ beziehungsweise die Suppe wurde abwechselnd und je nach Jahreszeit aus Kartoffeln mit Erbsen, Linsen, weißen Bohnen, gelben Wurzeln, Gerste, Riesenmöhren, Ober– und Unterkohlrabi, Kohl oder Sauerkraut gekocht.

Beim Eintritt ins Stockhaus mussten die Gefangenen, sofern vorhanden, ihren Bart abnehmen und sich die Haare „militärisch kurz“ schneiden lassen. Zur Pflege derselben stand den Gefangenen zur gemeinschaftlichen Benutzung von jeweils bis zu zehn Personen lediglich ein Kamm zur Verfügung. Nach den allgemeinen Vorschriften über das Verhalten in den Straf- und Besserungsanstalten mussten sich sämtliche Insassen jeden Morgen „gehörig“ Gesicht und Hände waschen, sich kämmen, die Kleider reinigen und wöchentlich die Leibwäsche wechseln. …

In den Genuss eines Vollbades kamen die Eisengefangenen in Marburg unterdessen, wie es in den Archivalien heißt, „nur höchst selten“. Bei den im nördlichen Schlossteil untergebrachten „gemeinschaftlichen Badebehälter“ handelte es sich um „Badetröge“, wobei sich mit demselben Badewasser bis zu zehn Gefangene baden mussten. Im Sommer, bei sehr schönem Wetter, durften die Eisensträflinge „gelegentlich“ in der Lahn baden. …

Da es im Marburger Stockhaus an „Abtritten“ fehlte, standen in den Nischen unter den Fenstern zur „Bedürfnisbefriedigung“ der Gefangenen „Kothbütten“ zur Verfügung. Der Arbeitsraum im ersten Stock enthielt zwar einen „Abtrittssitz“, aber kein separates „Pissoir“; stattdessen benutzten die Eisengefangenen ein „Handbüttchen“. Durch diese Einrichtung herrschte auf der gesamten Etage, wie es in den Archivalien heißt, „ein wahrhaft pestilenzialischer Gestank“.

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Eine Antwort zu Der ‚Eisengefangene‘ Johann Adam Schaumlöffel

  1. Alfred Görlach sagt:

    In der JVA Butzbach gab es noch bis in die 1970iger Jahre in jeder Zelle einen Toiletteneimer der morgens von besonderen Kalfaktoren der 12 Stationen geleert wurde. Zu dieser Zeit waren zwischen 700 und 800 Verurteilte inhaftiert.

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