Schulvisitationen in Blumenthal – 1827 und 1834

Viele meiner Vorfahren leben über Jahrhunderte im Kirchspiel Blumenthal an der Weser – im Ort Blumenthal selbst und in den zu diesem Kirchspiel gehörigen Dörfern – u.a. in Rönnebeck, Farge oder Lüssum. Auch ich selbst bin in Blumenthal aufgewachsen.

Die meisten meiner dortigen Ahnen haben – wie auch ich – in Blumenthal eine Schule besucht, allerdings unter völlig anderen Bedingungen als ich.

Ältestes Blumenthaler Schulgebäude von 1787
Quelle: Ulf Fiedler/Bernhard Havighorst, Das alte Blumenthal in Bildern, Johann Heinrich Döll Verlag

Bis ins 19. Jahrhundert besteht das Schulwesen aus kirchlichen und privaten Schulen und untersteht weitgehend der Aufsicht der Kirchen. Von Zeit zu Zeit werden die Pastoren der einzelnen Gemeinden aufgefordert, einen Bericht über den Zustand der Schulen in ihrer Gemeinde, eine Beurteilung der dort unterrichtenden Lehrkräfte sowie einen Bericht über den ‚sittlichen und religiösen Zustand‚ ihrer Gemeinde abzugeben.

Blumenthal um 1818-1819
Gouache: Anton Radl, Stich: Carl Heinrich Rahl, Wien – Adam Storck: „Ansichten der Freien Hansestadt Bremen und ihrer Umgebung“. Verlag: Carl Ed. Schünemann KG, Bremen, 1977



Auch der Blumenthaler Pastor Philipp Adolph Theobald (1778-1837) ist während seiner Dienstzeit verpflichtet, Schulvititationen durchzuführen und seine Berichte an die Inspektion nach Osterholz zu senden. 1827 schreibt er:

Pflichtmäßiger Bericht

über Kirchen– und Schul-Angelegenheiten, von Blumenthal. Eingereicht bei der Kirchen-Visitation daselbst am 12ten September 1827 von dem zeitigen Prediger P. A. Theobald.

I. Über die Schullehrer und das Schulwesen

A. Der Haupt Schullehrer, Organist, und Küster M. Meyerdiercks zu Blumenthal

B. Der Schullehrer Johann Heinrich Ficke zu Farge

Ad A. Ersterer ist ein vielseitig gebildeter, in den Schulwissenschaften wohl unterrichteter Mann. Bei ihm zeigt sich auch ein lobenswerthes Streben, durch seine Kenntnisse nützlich zu werden, von welchem auch erfreuliche Früchte sich darlegen. Nur bleibt zu wünschen, dass er sich bei dem katechetischen Unterricht, besonders in seinen Anreden, sowohl als in der Stellung seiner Fragen, zu der beschränkten Fassungskraft der Kinder herablassen möge.

Im Übrigen ist die Art seiner Unterweißung vorzüglich. Seine Handschrift sowie seine Fertigkeit im Rechnen ist ausgezeichnet gut. Gegen die Disciplin in der Schule ist nichts zu erinnern. Sein Lebens-Wandel ist untadelhaft.

Ad B. Der Schullehrer zu Farge, Johann Heinrich Ficke, ist im Ganzen ein recht gutmüthiger Mensch, hat auch den Willen, nützlich zu werden, und läßt es an Fleiß nicht fehlen. Seine Anlagen aber, sind wohl nicht von der Art, daß er sich in diesem Fache über das Mittelmäßige erheben wird. Bei seinem Katechisiren zeigt er Eifer und Fleiß, doch ist er darin noch zurück, auch fehlt es seiner Sprache an Wohlklang. Er singt, schreibt und rechnet ziemlich. Sein Wandel ist untadelhaft.

Die Haupt-Schule wird hier im Sommer und Winter recht fleißig besucht, weniger ist dieß während der Sommer-Monate bei der Schule in Farge der Fall, wo sich dann nur die kleineren Kinder einfinden.

Viele der größeren Kinder besuchen die Schule oftmals nur im Winter – im Sommer wird ihre Mithilfe bei der Arbeit in der Landwirtschaft benötigt.

II. Über den sittlichen und religiösen Zustand der Gemeine

Der in der hiesigen Gemeine herrschende religiöse Geist ist im ganzen gut. Die Kirche wird unausgesätzt fleißig besucht, die Zahl der Communicanten ist nach der Größe der Gemeine beträchtlich, während des Gottesdienstes herrscht die erforderliche Feierlichkeit, und Stille, und es sind mir während meiner hiesigen Amtsführung viele recht erfreuliche Kennzeichen christlich religiöser Tugend bekannt geworden.

Gemein herrschende Laster habe ich Gottlob hier nicht bemerkt. Einzelne Unsittlichkeiten, als Völlerei, und Ungerechtigkeit gegen des Nächsten Eigenthum, so wie fornications Fälle (fornication=Unzucht), kommen leider auch hier vor.

Nach meiner Überzeugung hat der Umstand, daß so viele Fremde, aus andern Ländern und Gegenden kommende Subiecte hier sich ansiedlen, einen nicht vortheilhaften Einfluß auf das sittliche Leben der Gemeine; daher ich den Wunsch nicht unterdrücken kann, daß höheren Orts eine größere Einschränkung in Ansehung der Aufnahme solcher Subiecte, als wohl bisher geschehen, stattfinden möge.


Mehrere Jahre später – am 27. Juni 1834 – berichtet Philipp Adolph Theobald:

Das, was ich in meinen früheren Berichten dieser Art von dem in der hiesigen Gemeinde herrschenden religiösen Sinn im allgemeinen mit Wahrheit rühmen konnte, dass derselbe gut zu nennen sey, das findet Gott Lob, auch ietzt immer noch statt.

Der fleißige Besuch des Gottes Dienstes, und des heiligen Abendmahls, die musterhafte Stille und Andacht, welche während allen gottesdienstlichen Verrichtungen statt findet, ist eine sehr erfreuliche Erscheinung, und läßt mit Recht, auf Liebe zu dem Christenthum schließen.

Freilich bleibt im besonderen immer noch vieles zu wünschen übrig. So wie überall, gibt es leider auch hier manche Menschen, und besonders in den niedern Classen, die größtentheils aus Ansiedlern, die sich hier nieder lassen, oder sich in Gaststätten aufhalten, besteht, denen das Höhere und Göttliche gleichgültig ist, welches sich dadurch an den Tag legt, daß sie an dem öffentlichen Gottesdienst keinen Antheil nehmen, und durch manche offenbare Unsittlichkeiten, als Diebereien und unzüchtige Handlungen, sich zu Schulden kommen laßen. Von letzteren haben sich ohnlängst wieder zwei traurige Beyspiele gezeigt, indem bei zwei unehelichen Geburts-Fällen auch zwei Auswärtige als Väter der Kinder angegeben worden sind.

Auch verdient noch außer diesem das wohl eine Rüge, dass unter den Beßeren selbst, der ietzt so allgemein herrschende Sinn, zu Zerstreuungen und luxoriöser Lebensweise, der gewöhnlich mit den Vermögens-Umständen in keinem Verhältniße steht, auch hier ietzt mehr noch als früher hervortritt, und manches Gute behindert, das außer dem geschehen würde. Von Secten-Wesen und Schwärmerey zeigt sich hier aber keine Spur.

Die hiesigen Schulanstalten sind in guter Ordnung. Der Haupt Schullehrer Meierdiercks, setzt seine Amts-Geschäfte als Schullehrer, Organist und Küster mit Eifer und Fleiß fort, wobei er durch einen Gehülfen unterstützt wird. Die Einrichtung des Schulwesens selbst erscheint als zweckmäßig.

Die beiden Neben Schulen zu Neu-Rönnebeck und Farge, sind gleichfals mit tüchtigen und fleißigen Lehrern besezt. Der Schulunterricht wird hier, in allen Schulen, durchs ganze Jahr fortgesezt, und auch im Ganzen, besonders von den kleinen Kindern fleißig besucht; von den Größerern aber werden im Sommer zum öfteren viele in der Schule vermißt.

Hinsichtlich der beiden hiesigen privat Unterrichts-Institute habe ich zu bemerken, dass beide noch in bekannter Art fort bestehen, und dass der von Radensche in diesem Jahre wieder von mehr Kindern als in dem vorigen, besucht wird.

Bereits vor 1828 werden im Kirchspiel Blumenthal zwei Privatschulen gegründet – eine in Rönnebeck von einer Frau namens ‚Hilken‚, die aus Bremen stammt, eine andere in Blumenthal von einem Herrn ‚von Rahden‚ und dessen Ehefrau. Beide Schulen werden in einem Beschwerdeschreiben des Lehrers Meierdierks erwähnt, da dieser durch die Etablierung dieser Schulen einen Teil seiner Schüler und damit einen Teil seines Gehalts verliert.

Quelle: Visitationen in der Inspektion Osterholz – Laufzeit -1827-1834 -Enthält die Kirchengemeinden Ritterhude, Scharmbeck, Hambergen, Osterholz, Blumenthal, Neuenkirchen, Lesum und Worpswede

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