Am 27. Mai 2008 erschien in der Acher-Rench-Zeitung ein von Horst Hoferer verfasster Artikel über ein rätselhaftes Kreuz im Lierbachtal, das folgende Inschrift trägt:
Alfred von Domhardt, geb. 1842 – gest 1862
Gebhardt von Domhardt, geb. 1847 – gest. 1896
‘neque dolor erit ultra’ (kein Schmerz könnte größer sein)
aufgenommen von Herwig Holme im Juli 2011
Vor etwa einem Jahr habe ich hier darüber berichtet. Viele Personen haben im Verlaufe des vergangenen Jahres dabei geholfen, das Rätsel um dieses Monument in Allerheiligen zu lösen. Herrn Hoferer gelang es, den Sterbeeintrag zu finden.
Allerheiligen im Lierbachtal gehört zur katholischen Pfarrei Oppenau. Dort wird 1862 im Kirchenbuch vermerkt:
‚Im Jahre 1862 am 26. August starb eines gewaltsamen Todes in Allerheiligen und wurde nach amtlichem Leichenpass vom 30. August angeblich in die Heimat transportiert: Alfred Ludwig Franz Friedrich v. Domhardt aus Bestendorf, Königlich Preuß(ischen) Kreisgerichts Mohrungen, Student, ledig, geboren am 12, Mai 1842. Zeugen sind: Gustav Mittenmaier, Wirth von Allerheilgen und Anton Mast, Leichenbeschauer von Lierbach‚. Oppenau, den 13. Oktober 1862
aufgenommen von Herwig Holme im Juli 2011
Der in Allerheiligen verstorbene ALFRED Ludwig Franz Friedrich von Domhardt wird am 12 Mai 1842 in Groß Bestendorf geboren. Seine Eltern, ALFRED Friedrich Gustav von Domhardt und Francisca Wilhelmine Emilie Ida Maria von Rosenberg-Gruszinsky heirateten zwei Jahre zuvor in Herzogswalde. Das Herrenhaus von Groß Bestendorf ist bereits lange im Besitz der Familie von Domhardt. Die Begüterung wurde 19 Jahre lang von Otto Heinrich von Domhardt, dem jüngsten Sohn des Oberpräsidenten Johann Friedrich von Domhardt verwaltet – nach dessen Tod im Jahre 1835 ging Bestendorf über in den Besitz seines Neffen.
Im Sommersemester des Jahres 1861 beginnt der junge Alfred von Domhardt in Heidelberg mit einem juristischen Studium. Wie damals üblich, tritt er gleich zu Beginn seines Studiums einer Studentenverbindung bei. Er wird Mitglied des Corps Saxo-Borussia in Heidelberg.
Als ältester Sohn ist Alfred von Domhardt dazu ausersehen, Erbe und Majorat seines Vaters anzutreten. Einige Jahre vor Beginn seines Studiums – am 23. Mai 1856 – war sein Vater bereits in Bestendorf verstorben. Im Band 6 der Berliner Revue – einer ‚Social-Politischen Wochenschrift‘ erscheint im Jahr seines Todes ab Seite 358 ein mehrseitiger Nekrolog über den verstorbenen ‚Ehrenritter von Domhardt‘. Der Nachruf endet wie folgt:
Nachdem die Familie bereits im Mai 1861 den Tod der ältesten Tochter Johanna Therese Wilhelmina Augusta von Domhardt verkraften musste, ruhen nun alle Hoffnungen auf dem Jurastudenten, von dem sicherlich erwartet wird, dass er – nach erfolgreichem Abschluss des Studiums – in die Heimat zurückkehrt und die Bewirtschaftung von Bestendorf übernimmt.
Was mag in der Nähe des Klosters Allerheiligen geschehen sein an diesem 26. August des Jahres 1862? Es können nur Vermutungen angestellt werden – der genaue Hergang des Unglücks ist nicht mehr nachzuvollziehen. In einem von Samuel Pletscher verfassten ‚Führer durch den Schwarzwald, Odenwald, Kaiserstuhl ..‘ ist zu lesen:
‚Das Kloster Allerheiligen liegt in einer der unwirthlichsten, wildesten Gegenden des ganzen Schwarzwaldes, die aber gerade durch die einsame Oede und das großartige der Szenereien so anziehend wird … Vom Kloster führt eine Allee uralter Linden an diesen überraschenden Punkt, wo auf der Felskuppe eine Hütte steht. Auf einem schmalen Felspfad erreicht man nach wenigen Schritten eine Felsenterrasse, wo jäher Schwindel den Blick zurückscheucht, der in den steilen, furchtbaren Abgrund hinabschaut‚. (Baden-Baden, Stadt, ihre Heilquellen und Umgebung; Taschenbuch für Fremde und Einheimische; H. Schreiber, Stuttgart 1840)
Quelle: Die Illustrierte Welt; Blätter aus Natur und Leben, Wissenschaft und Kunst zur Unterhaltung und Belehrung, für die Familie, für Alle und Jeden; Stuttgart 1861
Die obige Beschreibung macht deutlich, dass das Betreten der Umgebung der Klosterruine nicht ungefährlich war. Sicherlich war Alfred von Domhardt nicht allein von seinem Studienort Heidelberg nach Allerheiligen gekommen. Vermutlich war er in Begleitung anderer Studenten. Möglicherweise waren die jungen Leute vor ihrer Kletterpartie bereits irgendwo eingekehrt …. ? ‚Gute Bewirthung beim Förster Mittermaier, 10 Betten in 4 Zimmern‘ lautet eine Empfehlung auf Seite 110 in Baedekers Reisehandbuch von 1856 ‚Die Rheinlande von der Schweizer bis zur Holländischen Grenze.‘ Hatte diese gute Bewirtung bei Mittermaier Alfred von Domhardt zu leichtsinnig werden lassen …? Spielte Alkohol eine Rolle …? Hat der im Sterbeeintrag des Kirchenbuchs genannte Zeuge Gustav Mittermaier den Absturz Alfred von Domhardts miterlebt?
Gebhardt von Domhardt, der jüngere Bruder Alfred von Domhardts, ist 14 Jahre alt als die Nachricht vom Tod seines Bruders in Bestendorf eintrifft. Herwig Holme, der mir im vergangenen Jahr den 2008 erschienen Artikel über das Domhardt-Kreuz im Lierbachtal zusandte, hat die Geschichte folgendermaßen zuende gedacht:
‚Gebhard beschließt, der trauernden Mutter (der Vater war bereits 1856 verstorben) den Erstgeborenen zu ersetzen. Vielleicht war der ältere Bruder immer schon Vorbild, jetzt, nach seinem mysteriösen – offen wird man über die Umstände nicht gesprochen haben – Tod am anderen Ende des Reiches, wird seine Nachfolge zur Obsession. Er studiert, wie sein Bruder, in Heidelberg, tritt derselben Verbindung bei, und wird auch Allerheiligen besucht haben. In Bestendorf übernimmt er die Rolle, die dem Erstgeborenen zukommt, die des Majoratsbesitzers. Er stirbt, unverheiratet wie sein Bruder, noch keine 50 Jahre alt. Testamentarisch verfügt er die Aufstellung des Kreuzes in Allerheiligen, die sein Nachfolger als Fideikommißbesitzer, Siegfried Freiherr von der Goltz-Domhardt, veranlasst.
Und die Inschrift am Kreuz? Wessen Schmerz ist das, der größer nicht sein könnte, und worüber? Es ist der Schmerz des Gebhard Lebrecht von Domhardt über den Tod seines Bruders und den mit seinem eigenen Tod eingetretenen Untergang des Hauses Domhardt. Bleibt die Hoffnung, dass die Gemeinde hier ihre Aufgabe sieht, den Zugang zum Kreuz herrichtet, eine Bank aufstellt und auf einer Tafel Erläuterungen gibt‘.
Herzlichen Dank an alle, die zur Lösung des Rätsels beigetragen haben!
Schön, dass solche Rätsel auch nach so langer Zeit noch geklärt werden können – und dass es noch genug Menschen gibt, die sich so sehr dafür interessieren, dass sie sich an die Enträtselung wagen!
Danke für diese umfassende Darstellung. Bei Führungen in den Klosterruinen Allerheiligen werde ich oft nach dem Kreuz gefragt und kann nun, dank dieser Recherchen, diese Fragen zufriedenstellend beantworten