In der Ausgabe des Ostpreußenblatts vom 17. August 1957 erscheint die erste Folge eines ausführlichen Berichts des Lehrers Adolf Hubert Osthaus, der 12 Jahre lang (von 1945 bis 1957) als Lehrer im Kreis Pr. Eylau – von 1945 bis 1951 als ‚polnischer Hauptlehrer‘ in Topprienen und anschließend in Landsberg – unterrichtete. In insgesamt 11 Folgen schildert er seine Erlebnisse und die Zustände an der neu errichteten Grenze.
‚Tutaj swiat przepadl‘ – Hier ist die Welt zu Ende‘. Das war ein geflügeltes Wort unter den zwangsverschleppten ukrainischen Bauern, mit denen ich zwölf Jahre lang Freud und Leid in der Nähe des russischen Stacheldrahtes teilte‘ beginnt er seine Schilderung …
Einige Auszüge aus den Berichten von Adolf Hubert Osthaus:
‚In vielen kleinen Orten längs der Demarkationslinie leben die Menschen wie auf einsamen Inseln, abgeschnitten von allem Verkehr. Am stärksten war dieser Eindruck in Molwitten, das in der Nähe der sowjetischen Eisenbahnlinie zwischen Pr. Eylau und Bartenstein liegt … Dieses Dorf ist der trostloseste Ort, den ich in den letzten zwölf Jahren in Ostpreußen kennengelernt habe. Obwohl die Häuser von Kriegseinwirkungen verschont blieben, sind sie in einem unglaublich verwahrlosten Zustand. Wie überall in Ostpreußen, so sind auch hier in den ersten Jahren nach dem Kriege Türen, Fensterrahmen, ja sogar die Kachelöfen herausgerissen worden. Sie wurden an anderer Stelle als Baumaterial verwendet oder es wurde für sie Fusel eingehandelt. Noch heute ist jeder froh, wenn er in einem verlassenen Haus etwa noch eine vergessene Ofentür findet, denn Artikel dieser Art sind im freien Handel praktisch überhaupt nicht zu haben.
In den wenigen Häusern, die noch bewohnbar sind, leben arme ukrainische Bauern, denen in dieser verlassenen Gegend ein Stückchen Land zugeteilt wurde. Aber auch diese bewohnten Häuser machen einen traurigen Eindruck. An den blinden Fensterscheiben, die meist aus zusammengesuchten Scherben und Pappstücken zusammengesetzt sind, hängen keine Gardinen. Vorgärten, wie zu unserer Zeit, gibt es nicht mehr. Die Gartenzäune wurden herausgerissen und verheizt‘. …
Auf dem Gut Perscheln steht – als einziges Herrenhaus weit und breit an der Demarkationslinie – das Schlößchen, in dem die früheren Gutsherren wohnten. Wenn man über die verfallenen Freitreppe hinaufsteigt, dann sieht man über der Tür noch in vergoldeten Buchstaben die Inschrift: „Ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen.“ Auf dem Dachboden, den ich einmal zusammen mit meinem Sohn auf der Suche nach deutschen Büchern durchstöberte, fand ich noch ein Päckchen mit alten Briefen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, in deren Kopf ein Wappen eingepresst war. Diese Briefe hatte der Gutsherr von Perscheln aus Berlin an seine junge Frau geschrieben. Er wurde später Landrat in Pr. Eylau, wie ebenfalls aus den Briefen hervorging. Es war ein unheimliches Gefühl, in diesem verfallenen Herrenhaus, dessen ehemalige Schönheit man nur ahnen konnte, die Briefe aus einer vergangenen Zeit des Glanzes und des Reichtums zu finden‘.
(Anmerkung von mir: Das Gut Perscheln befand sich von 1837 bis 1945 im Besitz der Familie von Berg. Letzter Besitzer war Botho von Berg (1903-1983).
In der 7. Fortsetzung seiner Schilderung der Zustände (erschienen am 12.10.1957) beschreibt Adolf Hubert Osthaus die Zustände in Landsberg, die mehr als 10 Jahre nach Kriegsende noch katastrophal gewesen sein müssen, obwohl Landsberg den Krieg einigermaßen unbeschadet überstanden hatte. Osthaus schreibt: ‚Was ist aus diesem Musterstädtchen geworden? Unter den ostpreußischen Städten, die ich in den letzten zwölf Jahren kennengelernt habe, war es wohl der Ort, der am meisten verwahrlost war‘. Er berichtet u.a. von verschmutztem Trinkwasser, fehlenden Wasserleitungen, Schmutz und Abfällen in den Straßen, von fehlender Elektrizität und großer Armut ….
1957 war ich bereits 10 Jahre alt. Meine Kindheit in Bremen-Blumenthal war wohl ein Idyll im Vergleich zu dem Leben in der Geburtsstadt meines Großvaters!
Herzlichen Dank für dieses Dokument! Meine Urgrosseltern lebten auf Gut Perscheln bis Ende des 19.Jahrhunderts, dann verlor ich ihre Spuren. Die Kinder – mein grossvater-tauchen später in Danzig und Königsberg wieder auf. Ich bin übrigens auch in Bremen aufgewachsen . Herzlichen Gruß aus Italien