Die nachfolgenden Listen stammen aus einem (von den Mormonen digitalisierten) Findbuch des ehemaligen Königsberger Etatsmisteriums, in dem die 1932 vorhandenen Unterlagen der Handwerker-InnungenOstpreußens verzeichnet sind. Aufgelistet werden Personen verschiedener Gewerke, für die bei den einzelnen Innnungen zu damaliger Zeit Geburtsbriefe, Lehrbriefe oder Taufscheine existierten. Ob diese Unterlagen auch heute noch irgendwo vorhanden sind, weiß ich nicht.
Einen der bei den Unterlagen der Innung von Mohrungen genannten Geburtsbrief, der 1729 für den Fleischer Michael Aust angefertigt wurde, entdeckte ich vor einiger Zeit in den vom Stasstarchiv Allenstein digitalisierten Beständen des Königsberger Etatsmisteriums. Darüber habe ich hierbereits berichtet. Möglicherweise existieren ja auch weitere Dokumente noch in anderen Archiven …
Doch schon diese Auflistungen können bei genealogischen Forschungen außerordentlich hilfreich sein
Mit einem Klick auf das folgende Bild sollte man bei den o.g. Unterlagen zu Handwerker-Innungen in Ostpreußen landen:
Hier einige Beispiele – oftmals werden die Geburtsorte der Handwerker angegeben – zudem ist verzeichnet, um welche Art von Dokument es sich jeweils handelt: Gb=Geburtsbrief – Lb= Lehrbuch – T=Taufschein
Schneider in Pr. Eylau
Tischler in Kreuzburg
Radmacher in Kreuzburg
Schuhmacher in Heilsberg
In dem o.g. Findbuch sind weitaus mehr derartige Listen zu finden – beispielsweise für die Fleischer-Innung in Morungen – Schneider u. Töpfer in Mühlhausen – Sattler, Riemer u. Tapezierer in Memel – Schneider und Schumacher in Pillau oder Schuhmacher und Töpfer in Zinten.
In der Reihe der vom Herder Institut veröffentlichten ‚Wissenschaftlichen Beiträge zur Geschichte und Landeskunde‘ erscheint 1975 auch das Buch von Wilhelm Guddat: ‚Die Entstehung und Entwickluung der privaten Grundherrschaften in den Ämtern Brandenburg und Balga (Ostpreußen)‘.
Die Ämter Brandenburg und Balga liegen in den ehemals prußischen Gauen Natangen und Warmien. Sowohl Natangen als auch Teile von Warmien sind bereits beim Eindringen des Ordens stark besiedelt.
Bezogen auf den späteren Kreis Preußisch Eylau gehören um 1600 zum Amt Brandenburg die Kirchspiele: Creutzburg – Dollstädt – Jesau – Mühlhausen – Almenhausen – Abschwangen – Schmoditten -Tharau – Uderwangen – zum Amt Balga das Kirchspiel Guttenfeld sowie Teile des Kirchspiels Kl. Dexen (die Ortschaften Sodehnen – Rositten – Hussehnen – Suplitten und Pompicken)
Wilhelm Guddat wertet zahlreiche Ordensfolianten, Zinsbücher und Amtsrechnungen aus und beschreibt die Entwicklung sehr detailliert. Aber abgesehen von sehr viel Text enthält das Buch auch 3 interessante Karten, in denen die Verhältnisse des Grundbesitzes der Jahre 1426 – 1519 und 1626 graphisch dargestellt werden.
Die nachfolgenden Bilder sind Ausschnitte aus diesen Karten. Der braune Fleck im linken Bereich zeigt jeweils das Gebiet der Stadt Kreuzburg des späteren Kreises Preußisch Eylau. Die Zitate stammen aus dem o.g. Buch.
Die Karte von 1426 verdeutlich, dass sich um diese Zeit im Gebiet um Kreuzburg herum zahlreiche prußische Freigüter befinden. ‚In Sollau gab es 1426 neben 15 Zinshaken noch 11 prußische Freie‘. Größere Besitzkomplexe gehören den Familien Pröck, Sparwein, Tolk, Warpune und Serwille. Die Besitzungen bestehen aus jeweils einem Hof und darum liegenden Dörfern oder Teilen von Dörfern, die mit Bauern besetzt sind. Die größten Höfe privater Grundherrn sind etwa 20 Hufen groß. ‚Die Bestellung der Herrenhöfe erfolgte … hauptsächlich wohl mit eigenem Zugvieh und eigenem Gesinde, … nur bei den größeren Gutskomplexen wird auch das Scharwerk der Bauern eine bedeutende Rolle gespielt haben.‘
Aufgrund von Verwüstungen während des 13jährigen Krieges (1454-1466) und Verschuldungen in Folge von Erbteilungen kommt es zu großen Veränderungen der Grundbesitzverhältnisse. Wirtschaftliche Not führt dazu, dass private Grundherren Land an Bauern verkaufen und die Ordensleute sind gezwungen, Soldforderungen durch Landverpfändungen zu erfüllen.
‚Die Musterungslisten von 1519 lassen noch den ungeheuren Blutzoll erkennen, den die prußischen Freien im 13jährigen Krieg bringen mussten. Zu Beginn des Reiterkrieges (1519-1521) gab es in dem untersuchten Gebiet nicht einmal mehr halb so viele von ihnen wie 1426.‘ Auch Prußen, die den Orden untersützt hatten, erhalten neue Handfesten, doch schon bald nach dem Krieg besteht die Mehrheit der größeren privaten Grundherren nicht mehr aus Einheimischen, sondern Fremden.
Einigen Grundherren gelingt es, den Umfang ihres Besitzes durch weitere Verleihungen um mehr als 100% zu vergrößern – zum Beispiel ‚Andreas Ripp, der 1472 das 50 Hufen große Dollstädt erhalten hatte, bekam 1482 noch das 54 Hufen große Posmahlen hinzu.‘
Die Macht des Ordens schwindet – die Bauern sind mehr und mehr dem Wohlwollen ihres Grundherrn ausgeliefert.
1525 wandelt Albrecht – der letzte Hochmeister des Deutschen Ritterordens – den Ordensstaat in ein weltliches Herzogstum um. Während seiner Regierungszeit ist man eifrig bemüht, wüstes Land neu zu besetzen. Nach dem Reiterkrieg gibt es in den Ämtern Balga und Brandenburg ‚insgesamt noch 49 bis 60 Großgrundherrschaften, deren Besitzer bis auf Ausnahmen Adlige waren. Zu den nicht als GROSSgrundherrschaften angesehenen privaten Grundherrschaften gehörten auch drei über 10 Hufen große Güter, und zwar das Gut Jacob und Georg Perbands zu Perbanden, Müngen und Lemkühnen, Peter von Pohrens Besitz und Liebenau. Dort überall hatte der Landesherr das große Gericht.‘
Im Jahre 1626 befindet sich ein riesiges Gebiet der Ämter Balga und Brandenburg im Besitz des Adels – die Farbe ‚Blau‘ ist in dieser Region fast nicht mehr zu sehen! ‚Prußische Freie sind schon meist kurze Zeit nach der Verleihung an Adlige zu Bauern geworden oder einfach verschwunden. Penken wurde 1531 an Peter von Podewils … verliehen. Von den 4 Freien, die es dort 1426 gab, waren 1528 nur noch 2 vorhanden.‚ … 1543 sind sie ganz verschwunden.
Der Besitz der Gerichtshoheit ermöglicht es privaten Grundherrn, auch Freien oder Schulzen gegenüber Druck auszuüben, ‚die das Unglück hatten, im Bereich ihrer Gerichtsherrschaft zu wohnen‘. – ‚Freie, Schulzen, Krüger und Müller eines Gutsherrn waren … bei der endgültigen Herausbildung der Gutsherrschaft alle mehr oder weniger in ihrer Existenz bedroht.‘ – ‚Die Nachkommen der zu Kulmischem Recht sitzenden Hufenzinsbauern, die in der Form der Gemeinde organisiert waren, konnten durch gemeinsames Handeln noch einen gewissen Widerstand leisten.‘
1626 sind im Gebiet der untersuchten Ämter insgesamt 69 Adelshöfe vorhanden und vermutlich noch 9 weitere. In der nachfolgenden Zeit vermehren sich diese. ‚Sie waren jeweils Mittelpunkt einer Gutsherrschaft und mit ihrer Zunahme wurde das schwere Los der vom Adel abhängigen bäuerlichen Bevölkerung überall gleich.‘
Die Mühle in Konnegen im ostpreußischen Kreis Heilsberg wird von etwa 1823 bis 1892 von Familie Ankermann betrieben – zunächst von meinem Ur-Urgroßvater CARL Sigismund Ankermann und anschließend von seinem ältesten Sohn Gustav Heinrich Ankermann, der 1887 verstarb.
Im Müller-Adressbuch von 1892 wird Gustavs Ehefrau Auguste Ankermann, geb. Koschorr noch als Besitzerin der Mühle angegeben. Nach dem Tod ihres Ehemanns wird sie Hilfe benötigt haben – ihre vier Kinder (geboren von 1863-1877) gehen andere Wege. Tochter Almas Eheschließung findet 1896 zwar noch in Konnegen statt, aber auch sie heiratet keinen Müller, sondern einen Postbeamten.
Hätte Herr Kirstein nicht an einen nervösen Verdauungsleiden gelitten, hätte ich wohl nie erfahren, wer Auguste Ankermann nach dem Tod ihres Ehemanns unterstützte. Vermutlich hat er nach ihrem Abzug – sie verstirbt 1913 auf dem Gut Heinrichswalde im Kreis Pr. Eylau, das Sohn Bruno Ankermann 1902 erworben hatte – die Mühle auch gekauft.
Von etwa 1890 bis 1894 sind in diversen Zeitungen unterschiedlicher Regionen Inserate zu finden, in denen vom ‚schweren nervösen Verdauungsleiden‘des Herrn Kirstein aus der Mühle Konnegen berichtet wird. Trotz Anwendung verschiedener Mittel sei sein Leiden immer schlechter geworden – bis er von einer ‚wunderbaren Kur‚ erfahren habe, die seinem Landsmann Gottfried Nitsch aus Albrechtsdorf (bei Reddenau) bei einem viel schlimmeren Leiden bereits geholfen habe. ‚Herr Nitsch hatte nämlich mehrere Jahre so stark gelitten, dass er seine Schmerzen dem Wüthen eines wilden Tieres glaich beschrieb.‚
So entschließt sich auch Herr Kirstein in der Mühle Konnegen. die ‚Sanjana-Heilmethode‚ anzuwenden, die bald darauf in der Heilsberger Gegend als ‚Treuer Helfer in der Noth‚ gerühmt wird. Herr Kirstein bedankt sich bei der ‚Direction der Sanjana-Company‚ in England – sein Bericht wird beglaubigt vom Gemeindevorsteher Poschmann.
Im Sommer des vergangenen Jahres (2023) ermöglichte uns Frau Lewandowska, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft Natangen in Górowo Iławeckie (Landsberg) den Besuch des dortigen Heimatmuseums.
Dort entstanden die Photos dieser Namensschilder, die nicht nur aus dem Kreis Preußisch Eylau stammen. Einige hingen ehemals auch an Gebäuden der Kreise Angerburg – Bartenstein – Heiligenbeil – Lyck oder Ortelsburg.
Die Mobilität unserer Vorfahren ist bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts sehr eingeschränkt. Meine ostpreußischen Vorfahren im Kreis Preußisch Eylau – in Landsberg und den umliegenden kleinen Dörfern – werden ihre Heimatorte wohl nur selten verlassen haben – es sei denn, sie hatten die Patenschaft bei der Taufe eines Kindes in der Kirche eines benachbarten Ortes übernommen, waren in einem Nachbarort zur Hochzeit eingeladen oder nahmen an einer Beerdingung in einer Nachbargemeinde teil.
Der Besuch des Marktes in Landsberg gehörte für viele der Bewohner umliegender Orte vermutlich schon zu den Höhenpunkten des Jahres!
Reisen war beschwerlich und anstrengend. Als sich Friedrich von Coelln im September 1807 mit der Postkutsche von Königsberg aus in die Stadt Preußisch Eylau bringen lässt, um sich über die dortigen Verhältnisse nach der großen Napoleonischen Schlacht zu informieren, berichtet er:
‚Wir freuten uns über den lange vermissten Sonnenschein. Wurden wir nun vom Himmel nicht begossen, so wurden wir doch von dem ungeheuren Koth nicht befreyt, den die vortreffliche Landstraße von Königsberg nach Warschau (an dieser liegt Eylau) sehr ergiebig producirt; überdieß hatten wir eine alte preußische Postchaise, das heißt, einen Leiterwagen, mit zwey ungeheuern Sitzgebunden von Erbenstroh (die grauen Erbsen sind das vorzüglichste Produkt der Provinz). Dieser Postwagen, die elastischen Sitze, auf denen man balanciren mußte, um nicht herunter zu fallen, die Schlaglöcher der Landstraße, der sich den Rädern entgegenballende Koth, stimmten uns nicht zur Freude‘ ….
Quelle: 3. Band der von Friedrich von Coelln geschriebenen ‚Vertrauten Briefe über die innern Verältnisse am preußischen Hofe seit dem Tode Friedrichs II‚
Von Landsberg aus konnte man um 1830 mit öffentlichen Verkehrsmitteln auf direktem Wege nur nach Bartenstein – Creuzburg – Pr. Eylau – Heilsberg – Mehlsack – Wormditt und Zinten gelangen! Um Königsberg zu erreichen, musste man zunächst mit der Postkutsche 2 Meilen bis Pr. Eylau zurücklegen – dort gab es die Möglichkeit, in eine Kutsche nach Königsberg umzusteigen.
Mit dem Bau der Reichsstraßen 126 und 128 – den direkten Verbindungen von Königsberg in südliche Richung – wurde 1822 begonnen, bis zur Fertigstellung vergingen 30 Jahre.
‚In südliche Richtung führte über die Aweider Allee aus der Stadt hinaus die Reichsstraße 126 über Aweiden, Altenberg, Mansfeld nach Mehlsack, Wormditt und Mohrungen sowie die Reichsstraße 128 von der Schönfließer Allee über Schönfließ, Ludwigswalde, Wickboldt und Wittenberg weiter nach Preußisch Eylau, Landsberg, Heilsberg, Bischofsburg, Ortelsburg und Willenberg bis zur Grenze in Richtung Warschau. Die Bauarbeiten dauerten von 1822 bis 1853′.
Quelle: Fernstraßen ab Königsberg – Eine historische Bestandsaufnahme von Gerhard Mannke
Der 58 km lange Streckenabschnitt von Königsberg nach Bartenstein wurde als wichtigste Nord-Süd-Verbindung in Ostpreußen 1830 fertiggestellt.
Mit diesen Inseraten bin ich aufgewachsen – ich war 2 Jahre alt als man 1949 wieder ‚Sunlicht–Seife‚ kaufen konnte – ‚Opekta‚ und ‚Sanella‚ gab es in unserem Haus in Bremen-Blumenthal auch immer! ‚Gute Butter‚ war etwas Besonderes! Ich erinnere mich daran, dass ich mir in meiner Kinderzeit einmal ein halbes Pfund Butter ‚für mich ganz allein‚ zum Geburtstag wünschte:
Die Autos sahen ein wenig anders aus als heute … Ab und zu fuhren wir mit dem Bus von Blumenthal aus nach Bremen – in die ‚Stadt‚. Ein Besuch bei Karstadt oder C&A war ein Ausflug in die ‚große weite Welt‚. Nicht immer wurde dort etwas gekauft – manchmal wurde nur gestaunt. Kleidungsstücke für meine Schwester und mich wurden von unserer Mutter genäht, gehäkelt oder gestrickt.Das sieht man auch an meiner Ausstattung auf dem linken Photo.
‚Einmal ein gekauftes Kleid von C&A‚ war neben dem Wunsch nach ‚guter Butter‘ ein weiterer Herzenswunsch in Kindertagen. Und irgendwann wurde er auch erfüllt!
Die Wohnplätze ‚Klein Uderwangen‚ und ‚Kreuzburger Grund‚ im Kreis Preußisch Eylau liegen ein wenig außerhalb der zugehörigen Gemeinden. Diese Abgelegenheit ist unbedingt erforderlich, um die Dorfbewohner vor Geruchsbelästigung und Seuchengefahr zu schützen, denn in sowohl in Klein Uderwangen als auch im Kreuzburger Grund befinden sich Abdeckereien.
Tagtäglich werden hier tote Tiere angeliefert, denn die Abdecker – auch Halbmeister oder Schinder genannt – sind zuständig für die Entsorgung sämtlicher Tierkadaver – auch für die Entfernung herumliegender Katzen- und Hundekadaver. Die Kadaver werden von ihnen zerlegt und die nicht zu verwertenden Reste werden vergraben oder verbrannt. Man ahnt den Geruch!
Ein totes Pferd auf dem Wagen (Schinderkarre) eines Abdeckers, undatierte Zeichnung von Thomas Rowlandson (1756–1827) (Wikipedia)
Sowohl der Beruf des Abdeckers als der des Scharfrichters gehören über Jahrhunderte zu den unehrenhaften Berufen. Man meidet die Gesellschaft von Personen, die diesen Beruf ausüben. In den Kirchen haben Abdecker und Scharfrichter oft eigene Bänke – sie können weder Bürger einer Stadt werden noch werden sie vor Gericht als Zeugen angehört.
‚Am untersten Rande der unehrlichen Leute stand der Abdecker, … der zwar einer für die Gesellschaft unverzichtbaren Tätigkeit nachging, die ihm auch ein gutes Einkommen brachte, aber ganz und gar in Verruf stand. Er war dafür zuständig, totes Vieh zu beseitigen und ihm die Haut abzuziehen, nicht selten musste er die Hingerichteten und Selbstmörder verscharren. Hinzu kamen oft noch andere gemeindliche, aber nicht minder anrüchige Tätigkeiten wie etwa die Abortreinigung. Seinem Ruf entsprechend wohnte .. der Abdecker abseits der Ansiedlungen, gemeinsames Feiern mit ihm war selbstverständlich ausgeschlossen, eine Patenschaft für ein Abdeckerkind zu übernehmen anrüchig und an seiner Beerdigung teilzunehmen verboten. Der Abdecker war im vollsten Sinne infam ... wie redlich er im modernen moralischen Sinne auch sein mochte‘. (Quelle: Richard van Dülmen: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit; Dorf und Stadt; C.H.Beck, 1999 – Kapitel: Stand und Ehre)
Abdecker-Familien bleiben fast immer unter sich – ihre Söhne und Töchter heiraten fast durchweg in andere Abdecker-Familien ein. Ein Umdenken setzt erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein.
‚Das Abdeckerwesen krepierter Thiere galt seit uralter Zeit im deutschen Volke für eine verächtliche und ehrlos machende Arbeit … Der Fortschritt der Aufklärung hat jenes Vorurtheil überwältigt. Die Bearbeitung toter Thiere macht nicht mehr ehrlos, sie wird als eine nützliche Arbeit gewürdigt. … Seit dem Jahr 1832 machten die Stände des Landkreises Königsberg die Abdeckerverhältnisse oft zum Gegenstand ihrer Verhandlungen auf den Kreistagen‘. (Quelle: Justizrat Dr. Tortilowicz von Batocki in Preußische Provincial-Blätter; Königsberg 1846)
‚1785 befanden sich im „Königlichen Amt Uderwangen mit Dorf und Kirche, Wasser- und Windmühle“ 58 Feuerstellen mit 536 Einwohnern. Dazu wird ‚Klein–Uderwangen, Haidmeisterwohnung‚ mit 1 Feuerstelle aufgeführt. – 1820 waren im kgl. Dorf mit Kirche 66 Feuerstellen mit 586 Bewohnern. Dazu kam eine „Halbmeisterei Klein Uderwangen“ mit 1 Feuerstelle, 4 Einwohnern und das das Kgl. Vorwerk (1 Feuerstelle, 20 Personen‘). Quelle: Horst Schulz, Die Städte und Gemeinden des Kreises Pr. Eylau
Einer der Abdecker in ‚Klein Uderwangen‘ ist Simon Meyer. Bevor er sich hier als Pächter der Abdeckerei niederlässt, hat er bereits einen weiten Weg hinter sich … Einträge in verschiedenen Kirchenbüchern verraten seine Herkunft und einiges über seinen bisherigen Lebensweg. Simon stammt aus ‚Louisville‚ in der Nähe von Metz in Lothringen, wo er als ältester Sohn des Fleischermeisters Leopold Meyer um 1792 geboren wird und aufwächst. (Anmerkung: Der Pastor notierte den Herkuntsort sehr deutlich als ‚Louisville‘ – ich konnte den Ort jedoch in alten Karten nicht finden).
Simon Meyer hält sich ab ca. 1813 in Ostpreußen auf – möglichweise kam er als Soldat im Zuge der Napoleonischen Kriege in diese Gegend. Als er 1815 in der Sackheimer Kirche von Königsberg seine 1. Ehe mit Anna Barbara Spey aus Kirschnabeck bei Laukischken schließt, ist Simon Scharfrichterknecht. Auch 1817 – zum Zeitpunkt der Geburt des ältesten Sohnes Gottfried in der Stadt Kreuzburg im Kreis Preußisch Eylau – übt er diesen Beruf noch aus.
Von Kreuzburg aus zieht die kleine Familie zunächst nach Capustigall.
Das Gut Capustigall war im 16. Jahrhundert zunächst ein Gutshof der Herren von Lehndorff, dann von 1637 bis 1700 der Herrn von Mühlheim, danach der Familie von Kreytzen, ab 1711 der Familie von Chièze. Durch Erbe und Heirat gelangte es an die preußische evangelische Nebenlinie des oberschwäbischen Hauses Waldburg, die sich nach dem Ort Waldburg-Capustigall nannte. Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die jungen Grafen von Waldburg-Capustigall von Immanuel Kant als Hauslehrer unterrichtet. Kant lebte aber nie im Ort, sondern kam zu Tagesaufenthalten aus dem nahen Königsberg nach Capustigall. 1835 kam das Gut durch Erbschaft an die Grafen von Dohna-Schlobitten. Ab 1850 wurde der Ort in Erinnerung an die früheren Besitzer meist Waldburg genannt. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Gut mit dem barocken Gutshof völlig zerstört. (Wikipedia)
Schon in Capustigall ist Simon Meyer für die Abdeckerei verantwortlich. Hier werden weitere 3 Kinder geboren, die in der Kirche von Haffstrom getauft werden: 1818 Carl Leopold – 1820 Carl Ferdinand und 1822 Tochter Christine Wilhelmine.
In dieser Karte aus dem Jahr 1912 ist der Wohnplatz ‚Klein Uderwangen‘ gar nicht verzeichnet.
Mit nunmehr 4 Kindern lässt sich Familie Meyer um 1823 in der Abdeckerei ‚Klein Uderwangen‘ im Kreis Preußisch Eylau nieder, wo Simons Ehefrau Anna Barbara von 1824 bis 1835 noch 8 weitere Kinder zur Welt bringt: 1824 Johann August – Caroline Augustine Amalie – 1825 Justine – 1827 Johann Hermann – 1829 Caroline Elisabeth – 1831 Julius Leopold – 1833 Louise Rosette und 1835 Friedrich Wilhem Meyer. Im Mai des Jahres 1841 verstirbt die Mutter.
Die vielen Kinder müssen versorgt werden …. Bereits am 25. Juni 1841 heiratet Simon in der Kirche von Uderwangen erneut. Seine 2. Ehefrau wird Christine Radowski, geb. Spey, eine Schwester der verstorbenen 1. Ehefrau und Witwe des Faktors Daniel Radowski aus Königsberg. Im Kirchenbuch ist zu lesen:
‚den 25. Juni ist der Abdecker und Wittwer Simon Meyer zu Kl. Uderwangen, gebürtig aus Lousiville, ohnweit Metz in Lothringen, in Frankreich, des dortigen verstorbenen Fleischermeisters Leopold Meyer ältester Sohn, mit seiner Braut, der Factor-Wittwe Christine Radowski geb, Spey zu Königsberg, und aus Kirschnabeck, Laukischker G(emeinde). gebürtig, hinterl(assene) Wittwe des verstorbenen Factors Daniel Radowski zu Königsberg, ehelich verbunden worden.
Simon Meyer hat großes Pech mit einigen seiner Ehefrauen … Als die 1842 geborene Tochter Bertha Louise Meyer 1844 verstirbt, lebt auch Mutter Christine schon nicht mehr. Simons 2. Ehe dauert nur 2 Jahre.
Am 16. Februar 1844 wird in der Kreuzburger Kirche Simons 3. Ehe mit Anna Elisabeth Kraft geschlossen – einer Tochter des Abdeckerpächters Johann Ferdinand Kraft aus dem ‚Kreuzburger Grund‚ und dessen Ehefrau Anna Louisa Ortmann. Anna Elisabeth wurde dort am5, April 1824 geboren.
Diese 3. Ehe endet nach nur wenigen Monaten – schon im Dezember 1844 wird in Uderwangen Simons 4. Heirat gefeiert – vermutlich mit denselben Verwandten wie zu Beginn des Jahren, denn Simons neue Ehefrau Christina Wilhelmina Kraft ist die jüngste Schwester des Kreuzburger Abdeckers Johann Ferdinand Kraft und damit die Tante seiner vorherigen Ehefrau.
Der Pastor von Uderwanger notiert im Kirchenbuch:
Simon Meyer, 51, Witwer u. Pächter der Abdeckerei zu Uderwangen, geboren in Lothringen, in der Gegend von Metz, seit 1813 hier u. Wilhelmine geb. Kraft, 42, verehelicht gewesene Holz abgeschiedene Laerm, des zu Postell verstorbenen Abdecker Pächters Gottfried Kraft vierten Tochter, zuletzt zu Schoenwalde
1846 kommt in der Abdeckerei Tochter Henriette Bertha Meyer zur Welt.
Den Namen ‚Kraf(f)t und Ort(h)mann begegnet man in der Region um Königsberg immer wieder, wenn man sich mit den Familien der Abdecker beschäftigt. Johann Ferdinand Kraft stammt aus Postel (bzw. ‚der Postelle‘) im Kirchspiel Postnicken im Samland, wo seine Familie schon seit mehreren Generationen die Abdecker stellt – Anna Louise Ortmanns Vater betreibt die Abdeckerei in Bieberswalde bei Wehlau
Der Abdecker Simon Meyer wird 65 Jahre alt – er verstirbt am 15. April 1855 an der Epilepsie. Dies ist sein Sterbeeintrag im Kirchenbuch von Uderwangen:
Simons Sohn Johann Hermann Meyer wird zunächst Riemermeister, übernimmt jedoch irgendwann auch die Abdeckerei.
Die 1822 in Capustigall geborene Christine Wilhelmine Meyer heiratet 1840 Christian Albrecht, einen Schmiedegsell als Althof im Kirchspiel Schmoditten –Augustine Amalie und Caroline Elisabeth Meyer heiraten 1844 bzw. 1847 in andere Abdecker-Familien ein:
Die Einträge im Kirchenbuch lautebn: 1844 – ‚Carl Gottfried Ortmann, 24, Abdecker Pächter in Heilsberg, vordem in Postnicken mit Augustine Amalie, 19, zweite Tochter des Abdecker Pächters Simon Meyer in Kl. Uderwangen und 1847 – ‚August Worg, Scharfrichterghilfe in Kl. Uderwangen, künftig in Heiligenbeil, Sohn des Abdeckerpächters Wilhelm Worg oo Caroline Elisabeth Meyer‘ (*1829)). Beide Eheschließungen werden in Uderwangen vollzogen.
Der in Kreuzburg geborene älteste Sohn Gottfried Simon Meyer holt sich seine Braut 1839 aus der Windmühle von Gr0ß Ottenhagen – er ehelicht die 17jährige Müllerstochter Louisa Amalia Augustine Supplit.
Louisa Amalia Augustine Supplit bzw. Supplieth ist die Tochter des Müllergesellen Gottlieb Leberecht Supplieth, der im Alter von 20 Jahren in Groß Dirschkeim im Samland einen unehelichen Sohn zeugt und danach verschwindet. Etwa 1 Jahr später heiratet er die Tochter eines Kunstgärtners, mit der er einige Kinder bekommt. Die Ehe wird 1826 geschieden. Danach verliert sich seine Spur …
Auch Gottfried Simon Meyer wird Abdecker. 1847 wird er – der sich zeitweise auch in der Abdeckerei des Schlosses Gerdauen aufhält – durch einen Steckbrief im Königsberger ‚Öffentlichen Anzeiger‚ gesucht. Gemeinsam mit 2 anderen „berüchtigten Verbrechern“ war er aus dem Wehlauer Gefängnis entwichen, in dem er aufgrund verschiedener Diebstähle gelandet war.
Weitere Abdecker in ‚Klein Uderwangen‘
1755 wird Martin Krafft genannt. Seine Ehefrau heißt Anna Christina Porsch.
1775 heißt der Abdecker Jacob Kraft – seine Ehefrau Anna Dorothea Reh
Der Halbmeister Ludwig Boeck verstirbt am 19.3.1805 im Alter von ‚etwa 45 Jahren‚ in Klein Uderwangen an der Lungensucht. Seine Ehefrau Anna Louisa, geb. Buchhorn, bringt in Klein Uderwangen 4 Kinder zur Welt: 13.9.1788 – *Maria Elisabeth Boeck – 1.2.1790 *Johann Ephraim Boeck – 4.11.1792 Christina Elisabeth Boeck – 7.2.1799 *Anna Catharina Boeck. Die verwitwete Halbmeisterfrau Anna Louisa Boeck, geb. Buchhorn wohnt noch 1813 in Klein Uderangen. Vermutlich hat sie nach dem Tod ihres Ehemanns den jungen Abdecker Johann Friedrich Klein zu Hilfe geholt, der jedoch nur 26 Jahre alt wird und am 3.3.1811 in Klein Uderwangen verstirbt.
Die älteste Boeck-Tochter Maria Elisabeth (*1788) heiratet 1811 in Uderwangen den Knecht Christian Lentz, einen Sohn des in Weißstein verstorbenen Instmanns Johann Lentz – die jüngste Tochter Anna Lovisa (*um 1801) wird 1820 in Uderwangen die Ehefrau des Landwehrmanns Gottlieb Krause, des jüngsten Sohns des in Lewitten verstorbenen Einwohners Christoph Krause.
1817 betreibt der Abdecker Johann Kurowski mit seiner Ehefrau Karolina Kraft die Abdeckerei in Klein Uderwangen. Im November wird ihre Tochter Heinriette Friderica Amalia Kurowski geboren. Als Witwer heiratet Johann Kurowski 1841 in Kreuzburg wiederum eine Tochter aus der Abdecker-Familie Kraft. Seine 2. Ehefrau ist eine Tochter des Kreuzburger Abdeckerpächters Johann Ferdinand Kraft und seiner Ehefrau Anna Louisa Ortmann. Mittlerweile ist Johann Kurowski Abdecker in Alleinen im Samland – im Kirchspiel Pobethen.
Eine ganze Reihe meiner ostpreußischen Vorfahren übten zu unterschiedlichen Zeiten auf verschiedenen Gütern – sowohl im ehemaligen Kreis Pr. Eylau als auch im Samland – das Amt eines Hofmanns aus:
Hans Gegner (ca. 1620 – 1665) war Hofmann in Worienen
dessen Enkel Peter Gegner (1689 -1759) ebenso
Christoph Gnoss (1743-1807) war Krüger u. Hofmann im Neuen Kruge, Worglitten
Christoph Willfang (ca. 1680-1740) Hofmann im Peistener Vorwerk Wangnick
auch Sohn Johann Willfang wird Hofmann in Wangnick
Gottlieb Gutt (1751 – ca. 1830) Hofmann im Wildenhoffer Vorwerk Amalienhof – 1784 Pachthofmann in Schönwiese bei Landsberg
Martin Reisemann (ca. 1710 – nach 1776) war Hofmann auf dem Gut Wangen im Samland
Hans Colbe (1667- vor 1720) war Hofmann in Sudnicken
Sie alle waren dafür zuständig, die zu Bewirtschaftung des jeweiligen Guts angestellten Arbeiter zu beaufsichtigen und ihre ’sittliche Haltung‘ zu überwachen. Ihre Ehefrauen – die Hofmütter – sorgten für die Verpflegung der ledigen Knechte und Mägde.
Quelle: Was waren unsere Vorfahren, Sonderschrift 18 des VFFOW
Ausschnitt aus dem Kirchenbuch von Eichhorn
Anno 1685 ist copuliret d(en) 7. Jan. Gerg Sahm, Instmann von Eichhorn mit J Elisabeth, S(elig) Hans Gegeners, gewesenen Hofmanns zu Worienen hin- terl(assene) ehel(eibliche) T(ochter
Und all meine zuvor genannten Vorfahren werden ihren jeweiligen Gutsherren einen Eid wie den folgenden ‚Hoffmanns Eydt‚ in vergleichbarem Wortlaut geleistet haben:
Nachdem der Durchlauchtigste Hochgeborene Fürst und Herr Herr Friedrich Wilhelm Markgraf zu Brandenburg […], mein gnädigster Kurfürst und Herr, mich N. N. zu Ihro Kurfl. Gnaden Hofman zu N. annehmen lassen, als gelobe und schwöre ich zu Gott dem Allmächtigen, dass ich Ihro Kurfl. Durchl. getreu und ehrlich, wie es einem getreuen Diener gebührt, dienen, Deroselben Frommen und Nutzen, so viel immer möglich, fordern, Schaden und Nachteil wehren und fürkommen, mit den Dröschern und Gärtnern richtige Kerbstücke, was jedesmal ausgedroschen wird, halten und oft, ob auch rein ausgedroschen, nachdröschen lassen und sehen will, ob der Herrschaft zu Schaden etwas darinnen gelassen oder nicht, und da einiger Mangel in einem oder anderen durch mich gefunden werden sollte, solches dem Kurfl. Inspektor oder Burggrafen jedesmal anzeigen, auch im Hof bei allem Vieh, dass dasselbe fleißig gewartet werde, Aufsicht haben, die Hofpferde zu jagen oder fremden Geschäften nicht nehmen lassen, vielweniger bei Hof auf Sr. Kurfl. Durchl. Futter fremdes Vieh gestatten, auch auf alles andere, was einem Hofmann ich acht zu nehmen gebürt, desgleichen, ob der Hof und die Scheune jedesmal zu rechter Zwit geschlossen, ganz getreulich zu sehen, aufm Felde und was zum Vorwerk gehört, sonderlich im August und zur Saatzeit, fleißige Aufsicht pflegen, mich auch aller anderer Hantierung, dadurch mein eigener Nutz gesucht und etwas in meinem Dienst versäumt werden möchte, entschlagen, und allein eines Hofmanns Dienst nach höchstem Vermögen abwarten und in Summa mich also verhalten will, wie es einem treuen und fleißigen Hofmann eignet und gebühret.
Quelle: Eid und Aufgaben eines Hofmanns. Nach dem 1. Dezember 1640. In: Die Spiegelung neuzeitlich-bäuerlicher Lebenswelten in den Akten ostpreußischer Gutsarchive. Bearbeitet von Gaby Huch. Herausgegeben an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 2021-2023. URL: https://lebenswelten-digital.bbaw.de/dokumente/detail_doc.xql?id=lehndorff_ojw_xrr_hrb
Karl Ludwig Georg von Raumer(* 9. April 1783 in Wörlitz; † 2. Juni 1865 in Erlangen) war ein deutscher Geologe, Geograph und Pädagoge.
Als Pädagoge beschäftigt er sich u.a. auch mit der Erziehung von Mädchen. Sein Buch ‚Die Erziehung der Mädchen‘ erscheint im Jahre 1853 in Stuttgart.
Für Familienforscher, die nicht nur Namen und Daten sammeln, sondern sich auch mit den Lebensumständen ihrer Vorfahren befassen möchten, ist es vielleicht interessant, etwas über damals übliche Erziehungsmethoden zu erfahren. Viele unserer weiblichen Ahnen wurden möglicherweise von pädagogischen Ratschlägen wie denen Raumers geprägt!
Aber glücklicherweise gab es auch in der Mitte des 19. Jahrhunderts Eltern, die sich von derartigen Empfehlungen nicht beeinflussen ließen – und zu allen Zeiten gab es Mädchen und Frauen, die – allen Widrigkeiten zum Trotz – ihren eigenen Weg fanden …. Und: nicht alle Pädagogen des 19. Jahrhunderts stimmten mit Herrn von Raumer überein!
Für kleine Mädchen gibt es keine paßendere Unterhaltung als das Puppenspielen. Wenn sie in der ersten Kindheit ihr Vergnügen daran haben, die Puppe zu warten, zu wiegen, in den Schlaf zu singen und so alles nachzuahmen, was sie die Mutter mit dem kleinen Geschwister thun sehn, so finden sie später ihre Freude daran, der Puppe Kleider zu machen.
Man gewöhne die kleinen Mädchen schon früh, sich nicht schlafen zu legen, bevor sie nicht ihre Spielsachen an den gehörigen Ort geräumt; denn jedes, auch die letzte Kleinigkeit, muß im Hause seinen bestimmten Platz haben. Heranwachsenden Mädchen mache man es zur Pflicht, nicht nur die Sachen, mit denen sie sich beschäftigt, jedesmal wegzuräumrn, ehe sie eine neue Beschäftigung beginnen, sondern auch alles, was sie sonst am unrechten Orte sehn, an den rechten zu bringen.
Wilde, kanbenhafte Spiele sollte man den Mädchen, wie sich von selbst versteht, nie in Gemeinschaft mit Knaben, aber auch nicht unter sich gestatten.
Das Mädchen kann und darf sich in nichts Wißenschaftliches mit jener hartnäckigen, männlichen Ausdauer vertiefen, daß sie darüber alles andere vergäße. Nach Männer Weise in der Wißenschaft gründlich zu sein, darnach könnte nur ein ganz unweibliches Mädchen streben, und nur vergebens streben, da ihr Kraft und Talent des Mannes mangelt.
Wollte man die Mädchen auf gleiche Weise behandeln, so würde man sie für ihren Lebensberuf nicht gut berathen. Ich kannte Mädchen, denen vom Vater ein fester schulmäßiger Stundenplan vorgeschrieben war, es hätten sich die Mädchen in der bestimmten Rechen- und Schreibstunden kaum, oder doch nur unwillig eine Pause erlaubt, um dem kranken Bruder ein Glas Waßer zu holen; wer könnte das billigen?
Wer fühlt nicht, daß die Mädchen viel mehr auf die Seite der Künstler, als der Botaniker zu stellen sind? Das bezeugt schon ihre Neigung, Blument zu malen und zu sticken. Jedem schlichten Menschen erscheint es ganz unnatürlich, wenn Mädchenlehrer mit pedantischer, hölzerner Steifheit, welche sich die Miene gibt, als sei nur sie gründlich und wißenschaftlich, Lilien und Rosen bis in ihre kleinsten Theile zerrupfen und in den terminis technicis der Botaniker beschreiben laßen. Mädchen sollen die Blumen nicht mit den Augen zerlegender Botaniker, wohl gar mit mit Zuziehung einer Loupe betrachten, sondern mit Augen eines zartsinnigen Blumenmalers. Liebenswürdig ist ihre Liebe zu Blumen, die sie aufs sorgfältigste ziehen und ihre Entwicklung vom ersten Keime bis zur Reife des Samens verfolgen.
Was bezweckt aber der Zeichenunterricht bei Mädchen?
Zunächst eins, was vielleicht von Ueberbildeten sehr gering geachtet wird; das Mädchen soll fürs Haus zeichnen lernen. Sie muß im Stande sein, dem Schreiner durch einfache Umriße die Form der Stühle anzugeben, die sei bei ihm bestellt, dem Maurer eine Zeichnung von einem am Orte unbekannten, anderwärts aber erprobten Küchenherd zu machen, und was dergleichen mehr ist. Dann soll sie Vögel, Hunde, Reiter, Häuser u.s.w. den Kindern zeichnen.
Geschlechtsverhältnisse
Manche Mütter sind der, in meinen Augen grundverkehrten Ansicht, man müße Töchter in alle Verhältnisse der Familie, selbst in Beziehung der Geschlechter zueinander, hineinblicken laßen und sie gewissermaßen in Dinge einweihen, welche ihnen einmal bevorstehn, im Fall sie sich verheirathen sollten
Laße man die Kinder, so lange es immer geht, bei dem Glauben: ein Engel bringt der Mutter die kleinen Kinder; welche in manchen Gegenden übliche Sage viel beßer ist, als die an andern Orten gewöhnliche, vom Klapperstorch.
Ein gebrochener Fuß und ein gebrochenes Bein hindern mich momentan an vielen Tätigkeiten, aber sie führen dazu, dass ich viele meiner – schon lange im Entwurf vorhandenen – Genealogie-Tagebuch-Beiträge vervollständige …. wie diesen über Helene Laudien!
Mit der ostpreußischen Familie Laudien habe ich mich bereits häufiger beschäftigt – die Familien Laudien und Ankermann heiraten mehrfach untereinander und es besteht ein verwandtschaftliches Verhältnis zu meinen Ankermann-Vorfahren.
Sowohl unter den Mitgliedern der Familie Laudien als auch unter denen der Familie Ankermann tauchen immer wieder Personen auf, die besonders kreativ und künstlerisch tätig waren – als Maler(innen), Musiker oder als Dichter(innen). Zu diesen gehört auch Johanne Friederike Sophie Henriette Preuss-Laudien.
In der Encyklopädie ‚Das geistige Berlin‚ entdeckte ich einen Beitrag, in dem sie selbst – im Alter von fast 72 Jahren – aus ihrem Leben berichtet:
Preuss (-Laudien), Henriette, Schriftstellerin, geboren am 19. Januar 1826 zu Königsberg i. Pr(eußen).
Ich stehe in meinem 72. Lebensjahre. Mein Vater Heinrich Laudien war Baurath in Elbing. Meine Geburt kostete meiner zarten Mutter (Adelheid Bredow) fast das Leben und mehrere Wochen danach starb mein Vater nach ganz kurzem Krankenlager am Nervenfieber. Ich wurde an seinem Sarge getauft.
Bald danach zog meine Mutter nach Königsberg, wo ihre an einen Offizier verheirathete einzige Schwester und ihre Mutter lebten. Wenige Jahre später zog sie nach Pillau, wo ein Bruder meines Vaters Rektor der höhern Bürgerschule und Prediger war, aber schon nach kurzer Zeit als Archidiakonus nach Königsberg berufen wurde.
Dieser Bruder ihres Vater ist Theodor Laudien (1801-1859) ab 1836 Archidiakon an der Altstädtischen Kirche in Königsberg. Zu seinen Söhnen gehört u.a. auch Heinrich Julius Laudien (1829-1893) ab 1868 Musikdirektor in Königsberg u. Kapellmeister, verheiratet mit Johanna Mathilde Bertha Ankermann.
Meine Großmutter (mütterlicherseits) zog auch nach Pillau mit mir, und dieser geistvollen, hochgebildeten, feinen Frau, Kurländerin von Geburt, Sophie v. Glandorff, an den Sohn einer französischen Emigrantenfamilie, v. Bredow, verheirathet danke ich meines innern Lebens Gehalt und das reinste Glück meiner Kindheit. Von ihr selbst und einem Kandidaten der Theologie bis zum neunten Jahre unterrichtet, besuchte ich dann die, damals unter Direktor Merguet stehende höhere Töchterschule, machte, sehr jung noch, mein Lehrerinnenexamen, unterrichtete in Familien, verschiedenen Privatschulen und auch privatim in Musik, Sprach- und wissenschaftlichen Lehrgegenständen, nachdem ich in Halle noch 11 Jahre Unterricht genommen, wieder in Pillau, heirathete den Lehrer Preuss, der bald danach nach einer kleinen westpreußischen Stadt als Leiter der dortigen Stadtschule gewählt und nach einigen Jahren nach Straßburg an das dort neu gegründete Gymnasium berufen wurde und später in Breslau starb, worauf ich als Wittwe hierher (nach Berlin) zog, wo ich nach dem Zusammenbruch all meines einstigen Glücks lebe.
Der Ehemann Reinhold Theodor Preuss wird am 2.12.1830 in Germau, Kr. Fischhausen geboren. Seine Eltern sind: August Reinhold Immanuel Preuss, Kantor u. Kirchschullehrer in Germau, Fischhausen u. Juliana Amalie Umlauff. Er besucht das Lehrer-Seminar in Preußisch-Eylau und wird zunächst Lehrer an der Stadtschule in Pillau (1857-62). Dort findet 1860 auch die Eheschließung mit Henriette Laudien statt. Anschließende Tätigkeit: Evang. Stadtschule in Gollub/Westpr. (1862-73); Schließlich wird er Vorschullehrer am Gymnasium in Straßburg. 1888 verstirbt er in Breslau. 1887 lebt das Ehepaar dort noch in der Adalbertstr. Nr. 29.
Anlass dazu gab mir Ministerial-Direktor Greiff, der mir eine Stiftsstelle in Aussicht stellte, für die ich, bei der Gründung einst, durch mein bescheidenes Talent erfolgreich gewirkt. Ich war ein glückseliges, wenn auch einsames Kind, eine pflichttreue Lehrerin, eine überaus zärtlich geliebte Gattin, wurde als sogenannte ,,Dichterin“ über Verdienst umschmeichelt und bin nun eine glücksberaubte, einsame, von der Welt vergessene, kranke Frau.
Mein bescheidenes Talent, das Einzige, was mir treu geblieben – Leben und Tod haben all‘ mein Glück geraubt! – habe ich in frühern Zeiten stets zu wohlthätigen Zwecken hingegeben und Vielen damit Freude gemacht und Hülfe gebracht, und das ist noch jetzt in der ernsten Einsamkeit meine beglückendste Erinnerung!
Es muss mir wohl angeboren sein, denn schon in frühester Kinderzeit, im kaum vierten Lebensjahre, habe ich nach mir gestellten Themen in Reimen sprechen können. Wenn dann ich kleiner Knirps dafür geliebkost und beschmeichelt wurde, sagte meine Großmutter stets: ,,das thut sie Adelheid (meiner Mutter) nur zu Liebe, die noch so kindisch ist, sich daran zu amüsiren. Reimen kann jeder Mensch, das hat nichts auf sich!“ und das habe ich bis zu meinem 12. Jahre auch fest geglaubt! Ja, Eitelkeit und Selbstsucht wurden mir gründlich ausgetrieben!
Aber ich war doch wohl ein eigenthümliches Kind, denn ich hörte meine Mutter so oft sagen: ,,sie ist ein Unikum„, was ich mir stets mit ,,Ungeheuer“ übersetzte und heimlich bittere Thränen darüber weinte!
Henriette berichtet weiter: ‚Phantastische Märchen und Verse, das schreibe ich mit Vorliebe noch jetzt! Veröffentlicht wurden sie zuerst auf Anlass von Julius Hammer, Gutzkow und Auerbach, die in Dresden im Hause eines Bekannten meiner Mutter damals verkehrten und von den ihnen vorgelesenen Sachen geäussert hatten: ,,sie verrathen Geist, Gemüth und Talent“. — Julius Hammer setzte sofort das Schema eines Briefes an etwaige Verleger für mich auf, Fr. v. Schober fügte verschiedene Adressen hinzu und so kam es, dass meine erste Märchensammlung gedruckt wurde. Sie hat vier Auflagen erlebt‘.
Schriften: ,,Märchenbilder“, 1859. ,,Neue Märchen“, 1860. ,,Das Märchen von Sylt“, 1877. ,,Fata Morgana“ (Epos), 1877. ,,Im Sturm des Lebens“ (Novelle), 1878. ,,Immergrün“ (Märchen-Poesien), 1879. ,,Der Patriot in der Schulstube“ (Gedichte), 1880. ,,Heidelbeeren“ (Gedichte), 1881). ,,Deutsche Polterabende“, II, 1884. ,,Schnitzel und Späne“ (kleine Novellen), 1884. ,,Kindermund“ (Glückwünsche), 1884. ,,Drewenzblüten“ (Ge dichte), 1885. „“ Weihnachts- und Neujahrslieder“, 1885. ,,Boten Gottes“ (Ep. Dichtung), 1887. ,,Bettelgang“ (Ep. Gedicht), 1888. ,,Luciola“ (Ep. Dichtung), 1891. ,,Er naht!“ (Gedicht), 1893. ,,Polterabend- u. Hochzeitsgedichte“, III, 1894. „Räthselbüchlein für Dämmerstunden“, 1894. „Tonwellen“ (gesammelte Gedichte), 1895. ,,Frühlingsreigen“ 1897.
Wohnung: Charlottenburg, Wilhelmstift.
Soweit Henriette Laudiens Text aus der o. g. Encyklopädie …
Ergänzungen zur Familie:
Henriette Laudiens Mutter Adelheid ist eine Tochter des Kaufmanns Friedrich Gabriel Bredow und dessen Ehefrau Sophie Amalie Glandorff, die am 24.8.1770 in Mitau zur Welt kommt. Dort findet 1791 auch ihre Eheschließung statt. Das ‚von‘, das Henriette Laudien den Familiennamen ‚Bredow‚ und ‚Glandorff‚ hinzugefügt hat, taucht weder im Namen der Mutter noch in dem des Vaters auf.
Heirtaeintrag im KB Mitau 1791 – d. 12. August – H. Friedrich Bredow Negt (Negotiant) aus Königsberg mit Jgfr Amalia Sophia Glandorff, des hies(igen) Kaufhändlers Glandorff ehel(iche) T(ochter)
Die ersten Kinder des Ehepaars werden 1792 und 1793 in Königsberg geboren, wo die Familie in der Lang Gasse Nr. 23 wohnt. Später zieht die Familie in die Nähe von Danzig – 1804 wird Friedrich Bredow als ‚Kaufmann u. Großbürger in Danzig‚ bezeichnet – Sohn Carl Rudolph Bredow kommt 1804 in Guteherberge im Kirchspiel Ohra zur Welt (Zusatz beim Taufeintrag im Kirchenbuch: ‚die Mutter gebahr dieses Kind bey ihrem Aufenthalt in ihrem Garten in Gute Herberge‘ ) – Sohn Louis Adolf Bredow 1808 in Silberhammer. Er wird in der Kirche von Gischkau getauft.
Anmerkung zu Silberhammer: Im Sommer der Jahre 1822 u. 1824 arbeitet Joseph Freiherr von Eichendorff im dortigen Gutshaus – damals im Besitz des Grafen Friedrich von Dohna, der befreundet war mit dem Oberpräsidenten Heinrich Theodor von Schön – u.a. an seiner Novelle ‚Aus dem Leben eines Taugenichts‚.
KB Mitau 1767 – Heiratseintrag der Urgroßeltern – d. 8. May H. Daniel Glandorff, mit Frau Catharina Amalia Johanning, seel. (Ferdinand?) Beverts Wittwe
Am 30.1.1881 verstirbt Henriettes Mutter Adelheid Laudien, geb. Bredow, im Alter von 77 Jahren u. 9 Monaten – Sterbeeintrag aus dem KB von Straßburg, Westpreußen –
Henriette Laudien selbst wohnt um 1900 in Charlottenburg. Am 23. Juli 1902 verstirbt sie dort. Eintrag aus dem Berliner Adressbuch des Jahres 1900:
Die folgenden Zeichnungen stammen aus Henriette Laudiens Buch ‚Neue Märchen‘, das 1860 erstmals erschien. 1863 erfolgte eine 2. Auflage.