Deckblatt der Amtsrechnungen – 1636
Die evangelischen Seelsorger im ostpreußischen Amt Balga haben während des 17. Jahrhunderts große Mühe, ihren Gemeindemitglieder den christlichen Glauben näher zu bringen und sie zu einem sittlichen und moralisches Leben zu bewegen.
Zur Einordnung: Im Jahre 1686 findet in Groß Lauth im Kirchspiel Jesau (Kreis Pr. Eylau) der Prozess gegen Anna Bergau statt, die der Hexerei und Zauberei beschuldigt und letztlich ‚ihrer grausamen begangenen Teuffeley und Zanteley halber mit dem Feuer vom Leben zum Tode comdemniret und verdammet‘ wird. Hier nachzulesen: Hexenprozess in Groß Lauth, Pr. Eylau – 1686
Der Theologe und Historiker Adolf Rogge beschreibt den Zustand damaligen kirchlichen Lebens: ‚Die Kirchengebäude waren größtentheils elend und schadhaft. Die Pfarrhäuser waren Hütten, die man heute keinem Instmann anbieten dürfte. Kein einziges, selbst das zu Zinten nicht, besaß einen Rauchfang. Die Pfarräcker waren durch und durch mit Gestrüpp bewachsen oder versumpft. Die Kirchenländereien hatten so wenig Wert, dass vier eingegangene Pfarrhufen zu Hasselberg der Kirche Hohenfürst nur 5 Mark jährlichen Zins einbrachten…
Diese elenden Pfarrstellen waren zum Theil mit äußerst gelehrten Leuten besetzt, die aus allen Gegenden Deutschlands hierher gekommen waren, als „das Evangelium mit vollen Segeln nach Preußenland fuhr“. So war Simon Scholius in Balga ein tüchtiger Schüler Luthers und Melanchtons. Marcus Schwilling, anfangs Diaconus in Zinten, später Pfarrer in Hohenfürst, von Brenz und Schnepff gebildet und zeichnete sich ebenso als Kanzelredner wie als Katechet aus. Valentin Schulz, der Pfarrer in Zinten, ein Schlesier, hatte seine Studien in Wien und Krakau gemacht und wurde als ein verständiger und fleißiger Mann gelobt.
Freilich fehlte es in jener Zeit auch nicht an schwach begabten, zum Theil unstudierten Leuten, welche nicht im Stande waren, das Evangelium mit Nachdruck zu predigen. Sehr übel beraten waren in dieser Beziehung die Kirchen zu Eichholz, Waltersdorf und Lindenau‚.
Anmerkung: Zum Kirche von Eichholz gehörten eine ganze Reihe meiner eigenen Vorfahren – u.a. die Tolkmitts.
Durch ‚wüste Zeiten aller Zucht entwöhnt‘ waren besonders ‚Üppigkeit und Unzucht eingerissen‘. … Beklagt wird vor allem unangemessene Bekleidung beim Abendmahl sowie der Zustand, dass ‚Hurerey‘ an vielen Orten, besonders in der Stadt Zinten, mittlerweile nicht mehr als Laster, sondern als Tugend angesehen würde. Die Gottesdienste wurden kaum besucht – die Kirchen blieben leer. ‚Man schob Kegel unter der Predigt‘.
Schließlich ergriff man ‚Zwangsmaßnahmen‘, um die Leute zum Besuch des Gottesdienstes zu bringen. Jedes Haus wurde unter kirchliche Aufsicht gestellt. ‘Die sog. Schulzenbänke, welche in andern Ämtern bereits eingeführt waren, wurden auch hier (im Amt Balga) eingerichtet. Es waren dies erhöhte Sitze, welche die Ortsschulzen oder sonstige vom Patron der Kirche ernannte Aufseher einnahmen’.
Fortan durfte nur jeweils eine Person aus jedem Haus dem Gottesdienst fernbleiben – wer ohne triftigen Grund fehlte, wurde dem Schulmeister gemeldet, der darüber Buch führte und Strafgelder eintreiben musste. Den 10. Teil dieser Gelder durfte er selbst behalten.
Die Maßnahmen waren erfolgreich. Rogge fährt fort: ‚Das kirchliche Leben nahm im 17. Jahrhundert einen bedeutenden Aufschwung. Die reichlich eingenommenen Tafelgelder (jetzt Klingsäckelgelder), welche die meisten Kirchenrechnungen dieser Zeit, trotz der allgemein im Land herrschenden Armuth nachweisen, deuten auf regelmäßigen Kirchenbesuch hin‘.
Auch die Amtsvertreter achten streng auf die Einhaltung der Feiertage. Die folgende Notiz im Protokollbuch des Amtes Balga bezieht sich auf das Dorf Hohenfürst, in dessen Nachbarschaft – in Lütkenfürst – zu dieser Zeit auch mein Vorfahre Michel Lange als Köllmer und Schulz des Dorfes mit seiner Familie lebt.
‚Actum den 17. April 1699. Die Pauren von Hohenfürst haben heute am Charfreitage vor der Predigt den Scharwerksacker bei hiesigem Vorwerck gepflüget. Weil denn solches wider der Kirchen und S. Cfl. Dhl (Seiner Churfürstlichen Durchlaucht) Verordnung läufft, da dieser Tag feyerlich begangen werden soll, so sind die Wirths mit Thurm-Straffe beleget worden.‘
Kirchenzucht wird in den evangelischen Kirchen zur Sitte. Der Pfarrer ist zu dieser Zeit hoch angesehen – nicht nur bei den Bauern und einfachen Dorfbewohnern, sondern auch bei den Adeligen, die Patenämter bei seinen Kindern übernehmen oder ihn selbst zu Paten wählen.
In einigen Kirchspielen zeigt sich die sittliche Veränderung deutlich – im Kirchspiel Hohenfürst werden in der Zeit von 1676 bis 1718 nur 22 uneheliche Kinder geboren. In 26 Jahrgängen kommen überhaupt keine unehelichen Geburten vor.
Und auch das Pfarrhaus wird nun ansehnlicher und wohnlicher ..
‚Besonders in der letzten Hälfte des Jahrhunderts wandeln sich Pfarrhäuser aus rauchigen Hütten in gemüthliche zuweilen comfortable Wohnstätten um. In der äußeren Einrichtung unterscheiden sich die meisten derselben wenig von den damals und zum Theil noch heute üblichen Bauernhäusern. Es wird die große und kleine Stube, sowie ein Studierstüblein für den Pfarrer unterschieden. Die große Stube für gewöhnlich der Aufenthalt für die Dienstleute, hatte einen ungeheuren Kachelofen mit der unvermeidlichen Ofenbank, an den Wänden zogen sich Holzbänke herum. Oftmals tickte in ihr eine, auf Kosten der Kirchenkasse angeschaffte Uhr. In einem Pfarrhause finden wir über dem Bett des Pfarrers eine geladene Pistole‘. (Quelle: Adolf Rogge: Das Amt Balga. Beiträge zu einer Geschichte des Heiligenbeiler Kreises. In: Neue Preußische Provinzial-Blätter)
Bei der Erwähnung der Pistole bezieht sich Rogge auf folgenden Vorfall in Hohenfürst:
Kirchenbuch Hohenfürst 1684
d 10ten Julius 1684 ein Mädgen ins 30 Jahr aetatis gegen 5 Uhr abends des Hans Riemannß eines Instmannß in Hochförst Tochter nahmes Barbara von des Henrich Engelken auch eines Instmannß Sohn nahmens Martin(,) der auch von 30 Jahren seines Alters und im damahligen Pfarr Dienste durch einen Pistolen Schuß in Abwesenheit der Herrschaft(,) so selbige über dem Bette vergessen(,) vor der Hausthüre tötlich verwundet(,) so den Tag darauff etwa umb 5 Uhr auch todes verblichen, und den donnerstag darauff begraben worden.