Wachstuchmantel gegen Cholera?

Im Sommer 1831 bricht in Königsberg eine Cholera-Epidemie aus, mit deren Bewältigung offenbar sowohl die Ärzte als auch der Magistrat der Stadt völlig überfordert sind. Ganze Stadtbezirke werden abgesperrt und Lazarette werden eingerichtet, um die Erkrankten isolieren zu können. Teile der Bevölkerung widersetzen sich den angeordneten Maßnahmen – es kommt zu einem Tumult, der schließlich sogar Tote fordert. Ich habe hier darüber geschrieben: Die Cholera in Königsberg und Landsberg, Pr. Eylau

Beim Ausbruch der Epidemie ist die Hilf– und Ratlosigkeit der Ärzte groß. Verzweifelt bemüht man sich, wirksame Behandlungsmethoden zu finden, die teilweise skurill anmuten. Allein in Königsberg sterben in der Zeit vom 23. Juli bis zum 30. November 2191 Personen an der Cholera; dazu kommen – vom 28. Juli bis zum 23.November – noch 254 Verstorbene aus den zum Kreis gehörenden ländlichen Ortschaften.

14 Tage nach Ausbruch der Krankheit geben einige Königsberger Ärzte gemeinsam eine ‚Cholera-Zeitung‘ heraus, um die Bewohner über sinnvolle Maßnahmen informieren und unsinnigen Behandlungsmethoden entgegenwirken zu können.

Durch genaue Analyse der Verlaufs sowie zahlreiche Untersuchungen und Befragungen gelingt es allmählich, den Ursachen des Ausbruchs und der Verbreitung auf den Grund zu gehen.

Die Unsicherheit nimmt ab und der Humor kehrt zurück – das zeigt auch dieser Artikel von Dr. Hirsch, der auf humorvolle Art den sinnlosen Einsatz eines Wachstuchmantels reflektiert, den einige Ärzte in anderen Gegenden als Schutz vor der Cholera trugen. Dr. Hirsch berichtet:

‚Der Scharlachrock, in welchem vor Zeiten die Ärzte einherwandelten, ist längst aus der Mode gekommen: an seine Stelle tritt jetzt an vielen Orten der Wachstuchmantel. Königsberg ist zwar durch die Stellung, die seine Ärzte schon frühzeitig eingenommen hatten, mit dieser Ceremonie verschont worden; da aber ängstliche Gemüther doch meinen könnten, es sei etwas zum Wohl der Stadt gehöriges versäumt worden, so wollen wir die Bedeutung jener neuen Toilette etwas genauer untersuchen.

Das Wachstuch ist bekanntlich ein vortreffliches Material zum Verpacken von allerlei Waaren, da das Regenwasser davon abläuft: ein dunkles Gefühl von Ähnlichkeit, als müßten alle Krankheitsstoffe eben so davon abgleiten, scheint es zu Masken-Anzügen in ansteckenden Krankheiten empfohlen zu haben.

Bei der Pest, die nur durch unmittelbare Berührung ansteckt, läßt sich die Sache zur Noth noch denken, da das Wachstuch eine zwar dünne, aber doch feste Scheidewand zwischen dem Kranke und dem Arzt bildet; bei der Cholera aber, wo der Kranke, wie die Contagionisten versichern, die Atmosphäre auf hunderte von Schritten inficirt, wird das Schützen viel mißlicher.

Der Arzt ist kein Poststück, das luftdicht verpackt werden kann; er soll den Kranken ansehen – die Augen muß er also frei haben; er soll seine, mit heiserer, fast tonloser Stimme ausgesprochenen Klage anhören – die Ohren dürfen folglich nicht verdeckt werden; er soll dem Leidtragende Trost, der Umgebug Verordnungen geben – dazu darf er kein Blatt, geschweige denn eine Larve vor den Mund nehmen; er ist auch selbst ein Mensch und kann es nicht lange ohne Atemholen aushalten; da nun in der Minute 15-20mal geathmet wird, und es nicht jedemanns Sache ist, einen Krankenbesuch in 3-4 Secunden (innerhalb eines Athemzugs) abzumachen, so wird er auch die Nase nicht füglich verschließen können. Die Wachstuchkappe muß also an den zartesten Theilen, an Augen, Ohren, Nase und Mund durchbrochen sein und kann die Ansteckung höchstens von Scheitel, Stirn und Backen abhalten – ein magerer Schutz!

Zu der Kappe gehört aber auch eine Kutte, und diese soll die darunter getragenen Kleider bedecken, damit ihre Oberfläche keinen Ansteckungsstoff einsauge und auf andere Personen übertrage. Abgesehen von dem gänzlich Unerwiesenen der alten Meinung, dass Wachsleinwand weniger Ansteckung aufnehme, als Tuch oder anderes Zeug, so müßte doch, um seinen Zweck zu erfüllen, der Mantel ganz luftdicht auf den Kleidern anliegen und wenn die Ärzte nicht bei Pariser Stutzern Unterricht in den Künsten einer glatten und faltenlosen Toilette nehmen wollen, so möchte der subtile Cholera-Stoff genug Ritzen finden, um zwischen Mantel und Rock durchzuschlüpfen.

Man entschuldige den Spott, der, so ernsthaft die Sache auch ist, fast gewaltsam sich aufdrängt. Untersuchen wir aber jetzt, welche Folgen es für Königsberg gehabt hat, dass kein Wachstuchmantel sichtbar geworden ist. Zuvörderst ist von den 16 (einige später eintretende mitgerechnet, 19) Districts- und 6 Hospital-Ärzte, die einen großen Theil des Tages unter Cholera-Kranken zubrachten und ohne Umstände mit ihnen eben so frei umgingen als mit irgend welchen andern Kranken, kein einziger erkrankt. Die Gegner werden sagen: „Diese 25 Ärzte haben zufällig keine Empfänglichkeit für Ansteckung gehabt, aber wer weiß, wie vielen Personen sie den Peststoff in ihren Tuchkleidern zugetragen haben?“

Dies Unglück hätte zunächst unsre Familien treffen müssen, aus deren Kreis wir so oft in ungewöhnlicher Zeit zu Cholera-Kranken gerufen wurden und dann unmittelbar zu ihnen zurückkehrten. Aber durch Gottes Gnade, der uns zu dem Schwere nicht noch das Schwerere auferlegen wollte, ist kein Mitglied unsrer Familien befallen worden. Eben so sind unsre würdigen Geistlichen, welche die Kranken vielfach besuchten und ihnen das Abendmahl reichten, sämmtlich verschont geblieben … Sonach scheint es wohl erwiesen, dass diejenigen, die mit Cholera-Kranken umgehen, wenigstens in keiner größern Gefahr sind, als alle übrigen Bewohner des Orts, der unter der Herrschaft der Cholera-Epidemie steht….

Mindestens hätten unsre Resultate nicht günstiger ausfallen können, und wenn in andern Städten keiner erkrankt, der in Wachstuch gehüllt geht, so kann man höchstens sagen, das Wachstuch sei unschädlich gewesen ….

Wenn also von diesem Fabrikat bei uns kein Gebrauch gemacht worden ist, so hat wohl, mit Ausnahme der Straßenjugend, der die vermummten Doctoren viel Spaß gemacht hätten, Niemand dabei verloren, nicht einmal der Wachtuchhändler: denn wenn die hiesigen Erfahrungen dazu beitragen, die Furcht vor giftfangenden Waaren und zugleich den Nutzen der Quarantainen und Desinfections-Anstalten wankend zu machen, so werden sie, bei wieder auflebendem Handel und Verkehr, weit mehr von ihrem Handels-Artikel zu Waaren-Emballage (=Verpackung) absetzen, als alle Preußischen Ärzte zu Mänteln gebraucht hätten.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.