In der vergangenen Woche habe ich meine Ostpreußen-Leidenschaft für eine Weile ‚eingefroren‘ und bin ich in eine ganz neue Welt eingetaucht. Ich habe viel gelernt- über die Zeit des 1. Weltkriegs in Belgien – die dortige Gründung des Roten Kreuzes – über die Rolle des belgischen Königshauses in dieser Zeit, über jüdisches Leben und den Diamantenhandel in Antwerpen …
Mit Unterstützung belgischer Familienforscher – die Kommunikation war dank ‚Deepl Translator‘ ohne Probleme möglich – und durch eigene Recherche kann ich den Lebensweg von Rigmor Katrine Gegner nun in groben Zügen ergänzen.
Ich beginne im August des Jahres 1914 in Belgien, dem kleinen Land, das – trotz seiner Neutralität – von deutschen Truppen besetzt und in die Wirren des 1. Weltkriegs hineingezogen wird. Belgien ist auf die Versorgung und Behandlung verwundeter Zivilisten und Soldaten in keiner Weise vorbereitet – es fehlt sowohl fachkundiges Personal als auch medizinische Ausrüstung.
Die belgische Königin Elisabeth – aufgewachsen in Possenhofen, Oberbayern, als Tochter des Herzogs Carl Theodor in Bayern – eines bekannten deutschen Augenarztes – veranlasst den Chirurgen Antoine Depage, in Belgien die Organisation des Roten Kreuzes zu etablieren. Es werden zahlreiche improvisierte Krankenhäuser errichtet – selbst der Palast des Königs wird mit einem Operationssaal ausgestattet und es werden ca. 1000 Krankenbetten aufgebaut.
von links: das Grand Hôtel de l’Ocean – Antoine Depage – Königin Elisabeth (Quelle: Die Dokumentation von Manohan Pirard – Teil einer umfassenden Dokumentation des RTBF – (Radio-télévision belge de la Communauté française) über die Zeit des 1. Weltkriegs).
Innerhalb von 6 Wochen wird das Grand Hôtel de l’Ocean auf dem Seedeich in De Panne (Französich La Panne) unter der Leitung von Dr. Depage zu einem Frontkrankenhaus umfunktioniert und es werden Ärzte und gut ausgebildete Krankenschwestern angeworden und angestellt. Von 1915 bis 1918 wird dieses Lazarett von Dr. Depage geleitet.
Auch Königin Elisabeth selbst unterstützt die Ärzte im Krankenhaus – sie ist ausgebildete Krankenpflegerin und hat – vor ihrer Eheschließung mit König Albert – in der Klinik ihres Vaters mitgearbeitet.
Im Krankenhaus von De Panne arbeitet auch Rigmor Katrine Gegner, die – vermutlich auf einen Aufruf des Roten Kreuzes – ihre beschauliche Heimat Dänemark verlassen hat, um in Belgien zu helfen. Hier begegnet sie dem belgischen Diamantenhändler Armand Ducellier der während des Krieges als Pilot eingesetzt ist und mit Verwundungen in La Panne eingeliefert wird.
Rigmor und Armand verlieben sich ineinander und als sie 1917 in De Panne heiraten, ist Dr. Depage einer ihrer Trauzeugen. Sein Name ist auch auf dem Hochzeitsphoto vermerkt. Dr. Depage steht neben dem Brautpaar (Photo im vorherigen Beitrag).
Am 10. August 1925 kommt in Antwerpen Tochter Yvonne zur Welt. Fast wäre es noch möglich gewesen, Kontakt zu ihr aufzunehmen, denn sie verstarb erst am 8. März 2020 in Suresnes, Nanterre, Hauts-de-Seine.
Über die zweite Tochter – Jaqueline Ducellier – konnte ich leider nichts Konkretes in Erfahrung bringen.
Zu Familie Ducellier
Noch weiß ich nicht alles über die Familie, in die Rigmor einheiratet, aber doch wesentlich mehr: Armand Ducelliers Mutter – Marie Esther Boxhorn (auch Bochshorn oder Bochshorn geschrieben) – ist Jüdin. Sie wird am 1. Januar 1858 in Krakau geboren und als ihre Familie Polen verlässt, ist sie noch ein kleines Kind. 1883 heiratet Marie Esther Boxhorn in Paris den Bankier Claude (Blonde) Marc Maurice Ducellier. Das Ehepaar bekommt drei Söhne:
- Claude (Blonde) Marc Edouard Joachim Ducellier *1884 in Paris
- Armand Joseph Frédéric Ducellier *1887 in Antwerpen und
- Edouard Maurice Henri Ducellier *1889 in Antwerpen
Armands älterer Bruder wird Schriftsteller. Claude Ducellier – ’schloss sein Studium der Germanistik und Anglistik an der Pariser Fakultät mit dem Bachelor of Arts ab, während dessen er von Ernest Lichtenberger und Charles Andler unterrichtet wurde. 1901 und 1905 besuchte er die Universität Heidelberg, wo er von Kuno Fischer und Henry Thode unterrichtet wurde. Später wurde er Bankier, Remisier und in den 1920er Jahren Direktor der Banque Générale du Nord.
Im Jahr 1910 heiratete er in Brüssel Jeanne Marie Louise de Brabander, Tochter eines Sekretärs der Bank Société Générale in Brüssel. Während des Ersten Weltkriegs wurde er im Rang eines Unterleutnants in einem Bataillon von Alpenjägern verwundet und geriet 1917 in Gefangenschaft. Er wurde wie Charles de Gaulle in der Festung IX in Ingolstadt, Bayern, eingesperrt. Dieses Gefängnis, das härteste in Deutschland, war für widerspenstige Soldaten (die „starken Köpfe“) gedacht, die eine Neigung zur Flucht zeigten (Ducellier wurde später der Vizepräsident der Nationalen Vereinigung der Kriegsflüchtlinge). Während seiner Gefangenschaft hielt er vor seinen 200 Mitgefangenen Vorträge über lyrische Poesie.
Später wurde er als Zwangsarbeiter im BASF-Werk in Ludwigshafen eingesetzt. Während des Zweiten Weltkriegs war er Reserve-Hauptmann im 2. Armeestab und arbeitete im 2. Büro als Chiffrieroffizier und Übersetzer für General Charles Huntziger. Früh von einer literarischen Karriere angezogen, begegnete Ducellier, der als junger Soldat in der Normandie stationiert war, 1904 in Cuverville André Gide und wandte sich 1907 an den Literaturkritiker Jean Ernest-Charles, der ihm jedoch keine Hoffnung machte.
Fast vierzig Jahre später kehrte er zum kreativen Schreiben zurück und übersetzte Rilkes Sonette an Orpheus: nachdem er (vergeblich, denn dieses Werk Rilkes gilt als nicht mehr zeitgemäß und Rilkes Verleger Insel hatte die exklusiven Übersetzungsrechte bereits an die Verlage Aubier und Emile-Paul frères verkauft) im Herbst 1943 versucht hatte, sein Manuskript bei Gallimard und im Haus von Pierre Seghers unterzubringen. Mit Unterstützung von Pierre Emmanuel und Geneviève Bianquis veröffentlichte er 1945 seine Übersetzung mit Glossen im Eigenverlag (in einer limitierten Auflage), aus eigenen Mitteln und mit Unterstützung des Polytechnikers Gabriel Dessus. 1946 gewann er den Grand Prix de Poésie de la Société des Gens de Lettres (Jacques-Normand-Preis) für seine Sammlung Essor (Librairie Gedalge). 1947 stellte Ducellier weitere Übersetzungen von Rilkes Werken fertig und wurde als Nachfolger des kurz zuvor verstorbenen Maurice Betz mit der Betreuung der Übersetzung des Gesamtwerks von Rainer Maria Rilke durch Emile-Paul Frères beauftragt. Das Projekt wurde durch den plötzlichen Tod von Ducellier im Jahr 1950 abgebrochen. (Quelle: Wikipedia – aus dem Französischen übersetzt mit deepl)
Armands Weg ist ein völlig anderer als der seines Bruders. Er lebt mit seiner dänischen Ehefrau Rigmor in Antwerpen und tritt offenbar in die Fußstapfen der Boxhorn-Familie, die dort bereits vor ihm Diamantenhandel betreibt. Schon lange ist Antwerpen die Hauptstadt des weltweiten Handels mit Diamanten, der sich seit Generationen fest in der Hand orthodoxer Juden befindet.
Die folgende Bekanntgebung erscheint 1910 auf Seite 57 dieses Buches:
Partnerschaftsurkunde zwischen David Markovwicz und Armand Ducellier, Diamantenmakler in Antwerpen, mit dem Ziel der Vermittlung und Beauftragung von Diamanten. D. Markovicz und Co, Nachfolger der Boxhorn-Brüder. (Aus dem Französischen übersetzt mit deepl)
Eine geschäftliche Verbindung scheint es auch zu England zu geben, denn als Armand im Jahre 1941 im Alter von 54 verstirbt, wird sein Tod auch in der ‚London Gazette‚ bekannt gegeben. Und hier wird auch seine Adresse in Antwerpen angegeben!
Über den Verbleib des dritten Ducellier-Sohnes Edouard konnte ich leider nichts herausfinden, aber hier noch einige Informationen zu den Eltern und Großeltern der drei Brüder:
Die Ducellier-Eltern leben in Paris – die Mutter stirbt dort am 5. Mai 1929, der Vater am 23. November 1931. Sein Sterbeeintrag lautet: ‚Paris 17 ème le 23.11.1931 est décédé en son domicile 148 avenue Wagram, Claude Ducellier né à Paris le 23.4.1852, Administrateur de Sociétés, fils de Edouard Ducellier et de Virginie Monod, époux décédés. Veuf de Marie Boxhorn‚.
Die Großeltern mütterlicherseits – Chaim (Joachim) Boxhorn und seine Ehefrau Bluma Sara Markowicz leben ebenfalls in Paris. Die Großmutter muss bereits vor 1875 verstorben sein, denn 1875 heiratet der Großvater die Französin Adèle Canard. ‚Joachim Bochshorn (Sohn von Leibel Boxhorn und Meschy Falck), war Kaufmann in Paris, heiratete 1875 eine Französin (Adèle Canard) und starb 1903 in seinem Haus am Place Clichy‘. (aus dem Wikipedia-Eintrag über Claude Ducellier).
Möglicherweise besaß der Kaufmann Joachim Boxhorn auch ein Casino in Dinard – laut Wikipedia oft Nizza des Nordens und Perle der Smaragdküste genannt. Es wurde im 19. Jahrhundert zum Badeort wohlhabender Engländer.
Die Beschäftigung mit Rigmor Katrine Gegners Lebensweg macht mich sehr nachdenklich …. Sie ist die Cousine 3. Grades meines Großvaters Carl Ludwig Gegner. Beide erleben die Zeit des 1. Weltkriegs auf ganz unterschiedliche Weise – während mein Großvater als Reservist des Königin Elisabeth Garde-Grenadier-Regiments Nr.3 das deutsche Vaterland verteidigt, pflegt Rigmor in Belgien die von deutschen Soldaten Verwundeten – während sie sich in Belgien nach dem Krieg ein neues Leben aufbaut, verliert mein Großvater seines bei einem Kampf in Galizien und lässt zwei kleine Söhne zurück …….