Dieses kleine Büchlein von Frieda Busch trägt den Untertitel: „Ein ostpreußisches Lebensbild„. Die Erzählung basiert auf dem Tagebuch von Albertine von Bonin, geb. von Massow, die im August des Jahres 1763 als Tochter von Joachim Anthon von Massow und seiner Ehefrau auf dem Gut Klein Steegen im Kreis Pr. Eylau zur Welt kommt.
„Die Arrendatorin“ – so nennt der Gutsherr Joachim Anthon von Massow auf Klein Steegen seine Ehefrau Catharina Sophie Christiane von Tettau liebevoll, als sie die Verwaltung des Gutes über längere Zeit persönlich übernimmt.
Durch diese Erzählung erhalten wir einen Einblick in das Leben auf dem Gutshof und die Bewirtschaftung des Gutes Klein Steegen zu Zeiten der Familie von Massow. Und ich selbst erfahre sogar etwas über meinen Verwandten Christian Schmidt aus Worienen!
Doch zunächst ein Blick zurück: um 1720 ist Klein Steegen im Besitz des Obristen Eberhard von Tettau, der das Gut von seinem Vater Abel von Tettau (1654-1715) übernommen hatte.
Der Familie von Tettau gehören in Natangen – auch in unmittelbarer Umgebung von Klein Steegen – eine Reihe bedeutender Güterkomplexe. Nicht weit entfernt leben zum Beispiel enge Verwandte auf dem Gut Wokellen.
„Die Wokellenschen Güter vergrößerte Abel (von Tettau) durch das am 10. Juni 1681 von ihm für 5000 fl. dazu gekaufte, am 30 Juni 1690 ihm zu adlichen Rechten verliehene Vorwerk Tapperlauken, wobei der Gesammtflächeninhalt der Güter auf 80 Hufen zu stehen kam. – Am 3. Juni 1692 erkaufte er zu Königsberg von dem Kammerherrn Hans v. Kreytzen die Klein-Steegenschen Güter . . . In Folge dieser Erwerbung war der Besitzstand Abels nachstehender: 1. im Amte Pr. Eylau 40 Hufen zu Schönwiese, 11 Hufen 22 Morgen zu Wokellen, 20 Hufen zu Woymans, 7 Hufen zu Tapperlauken oder Zipperken, 80 Hufen zu Blumstein, 6 Hufen zu Klein–Steegen, zusammen 172 Hufen 22 Morgen. 2. im Amte Brandenburg 2 Hufen zu Guttenfeld sowie Wikelsdorf. Quelle: Wilhelm Johann Albert Freiherr von Tettau, Urkundliche Geschichte der Tettauschen Familie in den Zweigen Tettau und Kinsky; Berlin 1878; Seite 298
Von 1650 bis 1724 ist auch die Begüterung Worienen im Besitz der Familie von Tettau.
Johann Eberhard von Tettau ist aufgrund seines Berufs kaum anwesend. Das Gut Klein Steegen wird – wie üblich – von einem Administrator geführt – die Bewirtschaftung erfolgt durch Scharwerksbauern.
Im Gut von Klein Steegen halten sich jedoch Tettaus Ehefrau Dorothea Sophie Charlotte von Tettau, geb. von Hussen sowie seine Tochter Sophie Catharina von Tettau (*1723) auf.
Anmerkung: Hier beginnt die Erzählung – die GRAU hinterlegten Textabschnitte wurden wörtlich übernommen!
Johann Eberhard von Tettau befindet sich gerade in Schlesien, als er im Jahre 1742 folgende Nachricht seiner Tochter aus Klein Steegen erhält:
Klein Steegen, im Februar 1742 . Es ‚hat sich meine geliebte Mutter, Eure verehrungswürdige Gattin, bei dem letzten Fischzuge verkühlet. Nun liegt sie totkrank auf ihrem Schmerzenslager und bittet und erwartet sehnlichst, daß Ihr, mein theurer Vater, sogleich kommen möget, sollte unser gnädigster König Euch einen Urlaub gewähren.‘ Eure gehorsame Tochter Sophie Catharina von Tettau
Johann Eberhard v. Tettau erreicht Klein Steegen zu spät – seine Ehefrau ist bereits verstorben. Nach dem Tod der Mutter wird Sophie Catharina von Tettau Alleinerbin des Guts. Der Vater ist in Kolberg stationiert und muss dorthin zurück– Sophie kommt für einige Zeit zur Familie des Kriegsrats von Eichmann in Landsberg in Pension.
Nach seiner Pensionierung erhält der Johann Eberhard von Tettau das Gut Sandwiese in Pommern. Er verheiratet sich erneut – auch Sophie wohnt nun mit ihrem Vater und der Stiefmutter auf dem Gut Sandwiese. In Turtzig – nicht weit von Sandwiese entfernt – lebt Familie von Massow. So lernt Sophie von Tettau ihren späteren Ehemann Joachim Anthon von Massow kennen. Nach dem Tod ihres Vaters werden im Jahre 1748 Hochzeitsvorbereitungen getroffen.
Es war viel, fast zu viel, was nun alles auf Sophie einstürmte. Die Abgabe des Gutes Sandwiese, der Abschied vom Grabe des Vaters, die lange Reise, das Wiedersehen mit Klein Steegen, der Besuch am Grabe der Mutter. Und dann die Hochzeitsvorbereitungen in einem Haus, das viele Jahre in einem Dornröschenschlaf gelegen hatte. … In vier Wochen sollte alles fertig sein. Das Haus war auch wirklich recht schnell hochzeitlich hergerichtet. Etwas schwieriger war es, Keller und Speisekammer in solch kurzer Zeit mit Vorräten zu füllen. Zwei Ochsen und sechs Schweine mussten geschlachtet werden. Um all die Würste zu stopfen, zu kochen, zu räuchern, um die großen Braten zu pökeln, holte sich Sophie aus den Insthäusern die Frauen zur Hilfe. Zum Backen all der vielen, vielen Hochzeitskuchen aber kam ein Konditor aus Königsberg.
Die Verwaltung des Gutes Klein Steegen liegt um diese Zeit in den Händen von Christian Schmidt, der 1729 als Sohn des gleichnamigen Woriener Gärtenierers und späteren Arrendatoren und dessen Ehefrau Anna, geb. Gegner, zur Welt kommt. Nach seiner Eheschließung mit Catharina Dorothea Schultz – einer Tochter des damaligen Guttenfelder Pfarrers Christian Melchior Schultz – übernimmt er die Gutsleitung.
Das Gut befand sich in einem besseren Zustand, als Sophie es zu hoffen gewagt hatte. Gemeinsam mit ihrem Gatten ging sie nun immer wieder durch alle Ställe, Scheunen und Speicher und fuhr mit ihm und dem Verwalter über die Felder. Der merkte sehr bald, dass er es mit zwei durchaus sachverständigen Landwirten zu tun hatte und war froh, dass er ehrlich und anständig gewirtschaftet hatte …
Nach der Hochzeit muss Sophie eine schwere Entscheidung treffen: will sie zukünftig in Klein Steegen bleiben oder mit dem Ehemann in die Garnison reisen – will sie ‚Soldatenfrau oder Gutsfrau‘ sein? Mittlerweile hatte der Zweite Schlesische Krieg begonnen. Sophie entscheidet sich dafür, ihrem Ehemann zu folgen …
Sophie Catharina von Massow wuchs auch die diese Lebensaufgabe hinein. Es war keine leichte. Lange Jahre wanderte sie mit ihrem Gatten von einem Winterquartier ins andere, von einer Garnison zur nächsten. Nirgends durfte sie sich zuhause fühlen, nirgends fest verwurzelt sein. Lange Jahre ruhelosen und oft gefahrvollen Lebens, wenn die Fronten sich verlagerten. Immer war Sophie tapfere, gütige, helfende Frau. Fünf Kindern schenkte sie das Leben, nur zwei blieben am Leben, die anderen starben wenige Stunden nach der Geburt.
Die beiden lebenden Kinder sind Sohn Ernst Julius von Massow und Tochter Antoinette von Massow. Nachdem ihr Ehemann seinen Abschied genommen hatte, kann Sophie endlich nach Steegen zurückkehren. Auch Tochter Charlotte wurde mittlerweile geboren worden und Sophie ist erneut schwanger. Wir befinden uns im August des Jahres 1763.
Im (Steegener) Garten blühten die alten Linden. An den Fenstern der niedrigen Stuben blähten sich die weißen Gardinen, die Dielen knarrten wie immer an den bestimmten Stellen. Umd Mamsellchen hatte Schmandwaffeln gebacken. Die Dorffrauen kamen und Sophie zeigte ihnen stolz und glücklich die drei Kinder und erzählte ihnen, dass das Vierte wohl kaum noch einen Monat auf sich würde warten lassen. Und Massow ging mit dem Verwalter auf den Hof und in die Ställe. …
Wenige Tage später setzten die Wehen bei Sophie ein. Draußen tobte ein Gewitter. Der Donner erschütterte mit seinem Grollen das ganze Haus. Ein Blitz schlug neben dem Haus in den Keller ein.
In dieser Stunde wurde das Steegener Heimatkind geboren: Albertine Sophie Tugendreich von Massow!
Mittlerweile hatte sich der alte Verwalter (Christian Schmidt) ein eigenes Grundstück gekauft. Sein Nachfolger wird Michael Reimann – im Buch seltsamerweise ‚Albert Reimann‚ genannt, der sich inzwischen verheiratet hatte. Zu Michael Reimann und seiner Ehefrau Catharina, geb. Quell bestand offenbar ein sehr freundschaftliches Verhältnis.
Mehr über Familie Reimann im Anhang!
Massows richteten ihnen eine hübsche kleine Wohnung nebem dem Gutshause ein. So konnte Frau Reimann immer noch Sophie zu Hilfe eilen, wenn ihr die Arbei beim Schlachten, Wurstmachen, beim Lichteziehen oder beim Federnreißen über den Kopf wuchs. Und als später auch Reimanns eine Kinderstube voller Lust und Leben hatten, waren immer Massows Kinder bei Reimanns zu finden oder Reimanns Kinder bei Massows.
Massow baute ein Vorwerk mit einer Ziegelei auf und nannte es Sophienhof. Er hoffte, dadurch den weit entfernt liegenden Feldern besser gerecht werden zu können. Ihnen fehlte vor allem Dung. So wurden Ochsen und Jungvieh aufs Vorwerk gebracht. Ein Hofmann pflegte im Winter die Tiere und wenn sie im Sommer auf der Weide waren, konnte der Mann die Ziegel brennen. Dieses Vorwerk wurde der Grundstein für das nun aufblühende Gut. Massow war als Landwirt genau so tüchtig wie als Soldat.
Und auch das Gutshaus in Klein Steegen wird neu gebaut.
Das Baujahr war ein schlimmes Jahr. Nur das Fundament des alten Hauses blieb teilweise stehen. Reimanns zogen in die große Schulstube und Massows in Reimanns Wohnung. Dann wurde das alte Haus bis auf die Schulstube abgebrochen und das neue Haus nach dem Plan des Meisters Bauch gebaut. Holz war schon vor zwei Jahren aus dem eigenen Wald angefahren und geschnitten worden. Zwei große Kalksteine, die auf eigenem Grund und Boden gefunden wurden, ersparten auch einige Kosten.
Arbeit und Freude – das war das Lebenslied des Steegener Hauses. Im Sommer, wenn die Tage lang und hell waren, wurden vor allen Dingen die Bettinletts gewebt, derbe Leinwand für Bettwäsche, feinere für die Leibwäsche. Selbst Herr v. Massow trug alltags einen selbstgewebten, graugesprenkelten Leinwandrock. Man nähte große Bettdecken aus Kattun, auch lernten die Mädchen die jetzt modern werdende Filethäkelei. Im Herbst kam dann die Obsternte an die Reihe. Viel davon wurde im großen Backofen, wenn die Brote fertig gebacken waren, getrocknet. Die Kinder mussten Hagebutten sammeln und rein machen. Diese wurden dann in der Sonne getrocknet, damit sie für den Tee nicht das feine Aroma verloren. … Da man das Bier selber braute, musste auch Hopfen gepflückt werden. Kam dann wieder der Winter heran, wurde der selbst gebaute Flachs geschwungen und gehechelt. Federn mussten gerissen und sortiert werden für all die vielen Aussteuerbetten der Töchter.
Die Zeit vergeht …. Ernst Julius von Massow wird Referendar in Berlin – am 13. Oktober 1773 heiratet Antoinette, die älteste Tochter, den Grafen Wilhelm Alexander von Canitz und lebt fortan auf dessen Gut in Arnau – Albertine von Massow lernt ihren späteren Ehemann Friedrich Erdmann von Bonin kennen, der nach dem frühen Tod seiner Mutter gemeinsam mit seinem Bruder eine Zeit lang auf dem Gut Klein Steegen lebt. Am 3. Juni 1781 schreibt Albertine ihm:
Ich muss dir von Steegen große Veränderungen berichten. Unser Vater hatte den Pächtern unserer Vorwerke gekündigt und verhalf ihnen in seiner großzügigen Noblesse zu eigenen kleinen Besitzungen. Auch kündigte er dem Arrendator, den meine Eltern in den letzten Jahren hielten, und mit dessen Wirtschaftsberechnung sie doch niemals ganz einverstanden waren. Mein Vater übergab nun die ganze Verwaltung meiner Mutter und nennt sie nun nur noch seine ‚liebe Arrendatorin‚. Schon jetzte zeigt sich der Vorteil. Der vormalige Arrendator, welcher untertänig in den Gütern war, hatte eine Gewinnerhöhung von 40 Rth., die mein Vater jährlich von ihm forderte, für unmöglich erklärt. Meine Mutter schätzt jetzt wenigstens dreihundert Rth. bares Geld Gewinnerhöhung bei der eigenen Bearbeitung der Vorwerke. …… Leider beginnt nun ein neuer Prozeß mit dem Nachbarn. Die Prozesse der Grenzschwierigkeiten hatten wir alle gewonnen. Nun hatte der Nachbar einen Mann, der als Müller bei uns angestellt war, als Arrendator für sein Gut genommen. Dieser Müller sollte nun zween Herren dienen. Das konnte er natürlich nicht. In unserer Mühle entstanden Unordnungen. In erster Instanz verlor unser Vater den Prozeß und ging nun weiter.
Anmerkung: Zu Klein Steegen gehört die Mahlmühle in Finken im Kirchspiel Buchholz, die um diese Zeit von Johann Christoph Braun betrieben wird. Dieser wurde vom benachbarten Gutsherrn, dem Grafen von Schwerin auf Wildenhoff als Arrendator für dessen Vorwerk Stobbenbruch abgeworben.
Auch in zweiter Instanz wird der Prozess verloren – die Nachricht erhält Anton von Massow am 22. Juni (1781). In der darauf folgenden Nacht verstirbt er im Gutshaus von Klein Steegen im Alter von 74 Jahren.
Catharina Sophie Christiane von Massow, geb. von Tettau, erlebt die Hochzeit ihrer Tochter Antoinette und den frühen Tod ihrer Tochter Charlotte. Am 7. Januar 1798 verstirbt sie selbst im Alter von 73 Jahren auf dem Hof Klein Steegen. Johann Eberhard Schulz, der damalige Pfarrer von Guttenfeld, notiert im Kirchenbuch:
Nach ihrem Tod übernimmt zunächst Sohn Ernst Julius von Massow das Gut Klein Steegen, verkauft es allerdings schon bald an den Memeler Stadtrat und Lehnsherrn der Eichholzschen Güter Gottfried Krieger. Dieser verstirbt am 20. März 1812 auf seiner Rückreise von Klein Steegen nach Memel in Königsberg.
Zu Familie Reimann
Als Michael Reimann und Catharina Quell am 3. Juni des Jahres 1763 in der Kirche von Guttenfeld die Ehe schließen, ist Michael Reimann bereits ‚Cammerdiener bey (der) Hochadl(igen) Herrschaft‘ in Klein Steegen.
Von 1763 bis 1777 kommen in Klein Steegen ihre 7 Kinder zur Welt. Catharina Reimann, geb. Quell verstirbt am 10. September 1785.
Im nachfolgenden Jahr – am 25. Oktober 1785 – heiratet Michael Reimann erneut. Im Kirchenbuch von Guttenfeld ist zu lesen: ‚Den 25.ten October ist copulirt der Wittwer Herr Michael Reimann Administrator in Steegen im 51. Jahr mit Jgfr Catharina Elisabeth Schmidtmannin von 26 Jahr‘.
Catharina Elisabeth Schmidtmann bringt in Klein Steegen 6 weitere Reimann-Kinder zur Welt. Im Taufeintrag der Tochter Dorothea Elisabeth Reimann, die am 11.2.1800 geboren wird, wird Michael Reimann als ‚Eigenthümer in Guttenfeld‚ bezeichnet. Er verstirbt am 8. Oktober des Jahres 1807.
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