Der Soziologe und Genealoge Hermann Mitgau (1895-1980) beschäftigte sich u.a. mit der ‚Heiratspolitik‚ bestimmter Gesellschaftskreise und prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der ‚Sozialen Inzucht‚. 1968 schreibt er:
„Bis heute verbreitet und mühelos feststellbar ist das oft generationentiefe ‚Untereinanderverwandtsein‚ bestimmter Gesellschaftskreise – etwa des Hohen Adels oder der Hofbesitzer eines alten Bauerndorfs oder auch ‚führender Familien‚ der Finanz und Industrie, wobei es sich nicht einmal um örtlich eng zu ziehemde Grenzen zu handeln braucht. Das Heiraten innerhalb gleichgestellter sozialer Schichten wollen wir ‚Soziale Inzucht‚ nennen (in Parallele zu dem Begriff der biologischen Inzucht). Diese Soziale Inzucht ergibt ‚Geschlossene Heiratskreise‚ …
Man tat alles, um gewissermaßen genealogisch unter sich zu bleiben: der alte Adel als Führungsschicht in der Politik … die Industriemagnaten wie die Völlhöfner auf dem Lande. Denn alle ständische Priviligierung ruft hervor (und ist dadurch bedingt) Zusammenhalt nach außen, d.h. Abwehr der konkurrierenden Nachbarschicht und Gleichberechtigungs– wie Ausgleichsstreben nach innen. ..
Mitgau erinnert daran, dass Eheschließungen früherer Generationen nicht aus Liebe vollzogen wurden, sondern dass die Ehepartner nach ganz anderen Gesichtspunkten erwählt wurden.
Wir vergessen heute leicht, dass es einmal Jahrhunderte gegeben hat, in denen man in dem ‚Wir‚ solcher Gemeinsamkeit lebte, handelte, dachte und empfand, d.h. in unserem Falle, dass nicht die Person, sondern der Standesvertreter und der Erbe, die Erbin heiratete, dass noch weit bis ins 18. Jahrhundert hinein auch in den Städten die Eltern die Ehe stifteten und zwar nach wohl überlegten Gesichtspunkten solider Vermögenspolitik und Standesgemäßheit..‘.
Beispiele ‚Geschlossener Heiratskreise‚ finden wir in vielen verschiedenen Gesellschaftsschichten zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Regionen – auch in Ostpreußen!
- Die Kinder von Kölmern heiraten gewöhnlich untereinander. ‚Der Kölmer fühlte sich als freier Mann auf freier Scholle, als kleiner König auf seinem Grund und Boden, auch wenn dieser noch so klein war Der Standesunterschied zwischen ihm und dem Scharwerksbauern war so groß, dass er seine Tochter unmöglich dem Wirt eines landesherrlichen oder adeligen Dorfes gegeben hätte.“ (Emil Johannes Guttzeit, Alte natangische Bauerngeschlechter)
Manchmal wurde auch ein wenig nachgeholfen:
- Zugewanderten Handwerksmeistern wurde die Niederlassung erleichtert, wenn sie eine Witwe der Zunft heirateten
- Kaufleute erhielten Vergünstigungen, wenn sie Bürger einer Stadt werden wollten. So wollte man verhüten, dass kostbares Heirats- und Nachlassgut die Stadtmauern verließ.
Es ist interessant, diese These anhand der eigenen Vorfahren zu prüfen.
- Bei meinen Kölmer-Vorfahren im Kreis Heiligenbeil wird diese Heiratspolitik sehr deutlich. Die Kölmer-Familien im Kirchspiel Eichholz namens Tolkmitt – Hantel – Sternberg – Ross – Lange usw. sind teilweise schon Taufpaten ihrer späteren Schwiegertöchter oder Schwiegersöhne.
- Auch bei den Müllern und Mühlenbesitzern unter meinen Ahnen wird offenbar viel Wert darauf gelegt, dass die Schwiegerkinder demselben Stand angehören …
- Mehrfach werden während des 17. und 18. Jahrhunderts die Kinder der Arrendatoren einiger zur Begüterung von Groß Peisten gehörigen Vorwerke miteinander verheiratet:
Komisch. In der Nacht dachte ich an das selbe Thema aber im Fürstbistum Osnabrück. Ministerialien heirateten Generationenlang nur unter sich oder aufwärts in den Landadel mit dem sie dichten Kontakt hatten. Es ist manchmal schade den ohne Landbesitz waren sie mal hier, mal da – eben wo ein Ehepartner zu finden war.