Ohne Degen – ohne Hose ….

Kriege wurden zu allen Zeiten geführt – heute anders als in früherer Zeit, aber immer waren und sind sie verbunden mit Angst, Schrecken und sehr viel Elend. Mit dem Thema ‚Militär‚ habe ich mich bisher kaum befasst und ich will auch nicht zu tief in diese Thematik eintauchen … Doch im Leben meiner Vorfahren – ganz egal, ob sie in Ostpreußen, Bremen, in Sachsen, Hessen oder anderswo ansässig waren – spielte der Militärdienst eine große Rolle.

Im ehemaligen Ostpreußen ließen sich schon die Ordensleute bei der Landvergabe unterzeichnen, dass die Landbesitzer im Kriegsfalle mit ‚Hengst und Harnisch‚ dem Orden zu dienen verpflichtet sind – wie 1491 bei Peter Tolkmitt, der 12 Huben in Kildehnen im Kirchspiel Eichholz, Kreis Heiligenbeil erhielt. Dies ist ein Ausschnitt aus seiner Verleihungsurkunde:

Wir Bruder Jeronimus von Gebbbensattel. Oberster Trappier, komthur zur Balge und Vogt auf Natangen, des Ordens der Brüder des Hospitals Sankte Marie des deutschen Hauses von Hierusalem, Thun kundt und offenbahr Allen und itzlichen, die diesen Brieff sehen, hören oder lesen, daß wir mit wissen, Rath und willen, des gar Ehrwürdigen Herren, Herrn Johann von Tieffen, Hoemeisters deutschs Ordens vnd mit wissen und willen vnsers Ordens Edelsten Brudern zur Balge, Vorschreiben leysen und geben in Krafft vund macht dieses Briffes, dem Wohlduchtigen unsern lieben getrewen Peter Dolkemitten, seinen rechten Erben und nachkommlingen zwelf Huben zu Kyldenyn an Acker, wiesen, weiden, walden, Puschen, Bruchern und Streuchern im gebit Balge vund Zintschen Kammerampt beim Eichholz gelegen, binnen solchen Reinen vnd grenitzen, also die von alters somirt beweyset, Frei Erblich und Ewiglich zu Cölmischen Rechten zu besitzen. Vmb welcher vunser begnadigung willen soll Peter Dolkemitte, seine rechte Erben und nachkommlinge, vns vund vnserem Orden verpflicht sein zu thun einen redlichen vnd duchtigen Dienst mit Hengst vnd Harnisch nach dieses Landes gewohnheit, zu allen geschreyen heerfahrten, Landeswehren vnd Reysen….

‚Die Anfänge der preußischen Armee als stehendes Heer liegen in der Regierungszeit des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, dem Großen Kurfürsten (1640 bis 1688). In einer Sitzung des Geheimen Rates am 5. Juni 1644 wurde die Aufstellung einer stehenden Armee beschlossen. Vorher hatte Brandenburg im Kriegsfall ein bezahltes Söldnerheer aufgestellt, das nach Kriegsende wieder aufgelöst wurde. Dieses Verfahren, so zeigte der Verlauf des Dreißigjährigen Krieges, war nicht mehr zeitgemäß‘. (Wikipedia)

Aus dem Internetprojekt www.preussen-chronik.de: Den Ausgang des Mittelalters kennzeichnet in militärischer Hinsicht das Zurücktreten des Rittertums zugunsten des in Formation und zu Fuß kämpfenden Landsknechtes. Damit verbunden ist die Entwicklung großer kompakter Truppenkörper, die den Attacken der ritterlichen, gepanzerten Reiterei standhalten können und diesen überlegen sind. Nicht mehr der Einzelkämpfer dominiert das Schlachtfeld, sondern ein unpersönliches Kollektiv von Kämpfern, die in einer Schlachtaufstellung zusammengefaßt sind. Ihre Effektivität lag in der Zusammenfassung ihrer Waffen zu einem Körper. Je gleichmäßiger die Bewegungen dieser Truppenkörper abliefen und je mehr sich das Individuum sich dem System anpaßte, desto schlagkräftiger waren sie. Mit dem Übergang der Söldnerheere in die Hand der Fürsten ging eine Vereinheitlichung der Truppen, Uniformen und der Ausbildung einher. Die neue Form der Gefechtstaktik erforderte immer größere Truppenmassen und ein hohes Maß an Übung und Ausbildung der Soldaten. Neue Waffen, Artillerie und Handfeuerwaffen, erforderten einen erheblichen Aufwand an Geld. Sinnvoll einzusetzen war dieser Aufwand nur von bereits vorhandenen, also „stehendenTruppen, die in einem Krieg nicht erst neu angeworben und ausgebildet werden mußten. Während einer Übergangszeit bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges, erwies sich die Unzuverlässigkeit des privaten Kriegsunternehmertums in Form der Söldnerheere, die je nach Bezahlung die Lager wechselten und nach Beendigung des Krieges zur plündernden und mordenden Landplage wurden. Der Ausweg war das stehende Heer, das, von mittelalterlichen Vorläufern abgesehen, zuerst im wirtschaftlich potenten Frankreich und Spanien Anfang des 17. Jahrhunderts, aufgestellt wurde. Die Bindung an nur einen Herren und die einheitliche Ausbildung machten diese Heere zu einem sehr effektiven Instrument, so daß bis in die Gegenwart hinein fast jeder Staat der Erde über ein stehendes Heer verfügt.

Chronologie der Kriegsereignisse im 17. Jahrhundert, an denen die Armee des Großen Kurfürsten beteiligt war:

  • 1656-1657 Schwedisch-Polnischer Krieg
  • 1658-1660 Schwedischer Krieg
  • 1663-1664 Krieg gegen die Türken
  • 1670-1673 Krieg gegeen Frankreich
  • 1672-1674 Polnisch-Türkischer Krieg
  • 1674-1679 Französisch-Niederländischer Krieg
  • 1683-1684-1686 Krieg gegen die Türken

Porträt des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Adriaen Hanneman 1647

Das Gebiet des späteren Kreises Pr. Eylau liegt seit der Regierungszeit des Herzogs Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568) im Kreis Natangen – in den Hauptämtern Brandenburg, Balga, Pr.Eylau und Bartenstein. In regelmäßigen Abständen werden die dort lebenden Wehrpflichtigen zur Musterung in die für sie zuständigen Ämter zitiert und überpfüft. Dabei führt jedes Amt eigene Musterrollen, in denen die Ergebnisse der Prüfung notiert werden.

Der zu leistende Kriegsdienst ist je nach Rang unterschiedlich – für Adelige; Köllmer und Freie oder Wibranzen (Landmilizen) werden gesonderte Musterrollen angefertigt.

Eingetragen wird: der Name des Reiters sowie die Qualität von Pferd – Sattel- Carabiner – Pistole – Degen – Koller – Stiefel und Mantel

Ausschlaggebend für die Anzahl der Soldaten, die Landbesitzer dem Militär zur Verfügung stellen müssen, sind Größe und Qualität ihres Besitzes. In den Beilagen der Musterrollen findet man deshalb oftmals Berichte über die in den einzelnen Ämtern erfolgten Besitzveränderungen. Hat beipielsweise ein adeliger Gutsbesitzer seit der vorherigen Musterung zusätzliche Ländereien erworben, ist er verpflichtet, mehr Soldaten zu senden als zuvor.

Nachfolgend ein Ausschnitt aus der Musterolle des Amts Preußisch Eylau aus dem Jahr 1667: Der Graf von Schwerin auf Wildenhoff soll insgesamt 6 Reiterdienste stellen. Er meldet den damaligen Schulzen aus Canditten namens Israel Blandau – für Halbendorf Jacob Gerund – für Augam Abraham Kerschnick und für Sangnitten (hier Sandnicken geschrieben) George Hartwich zum Kriegsdienst. Der Graf ist eigentlich verpflichtet, auch für den Besitz von Wildenhoff und von Groß Steegen jeweils einen Soldaten zu senden, diese wurden jedoch ‚nicht gestellet‚. Bei der Musterung wird die Qualität der Pferde geprüft sowie die der Carabiner Pistolen Degen Koller Stiefel und Mäntel. In diesem Fall wird alles für ‚gut‚ befunden.

Wenn man Glück hat, findet man in den Musterrollen auch die Namen eigener Ahnen – in der folgenden Liste der ‚Ritterdienste von Freyen und Cölmern‚ des Amtes Balga aus dem Jahr 1669 werden zwei meiner Vorfahren genannt: Hans Tolkmitt aus Gehdau und Jacob Söcknick (hier ‚Zicknick‘ geschrieben) aus Kumgarben. Hans Tolkmitt hat gemeinsam mit den 4 anderen Gehdauer Kölmern – Friedrich Schultz, Friedrich Radau, Peter Schwarck und Christoph Tolcksdorff – insgesamt einen Dienst zu leisten. Gemeinsam senden sie George Radau zur Musterung. Auch hier wird die gesamte Ausstattung kontrolliert und bewertet. Bei Jacob Söcknick wird ein schlechter Degen festgestellt.

Roulle

des

Ambts Balga

Über Ritterdienste, Pferde vors Geschütz und Wybrantzen, wie dieselbe uf Sr. Churfl. Durchl(aucht) gndsten (gnädigsten) Befehl, den 25. Juny ao 1669 sich eingestellet und befunden worden.

Und dann sind da die Wibranzen – in anderen Gegenden Landmilizen genannt – aus der großen Gruppe der restlichen männlichen Bevölkerung (Bauern, Instleute …), die im Falle einer Mobilisierung anzutreten haben: ‚In keinem Theile des brandenburgischen Staates war die Land- oder Lehnsmiliz so ausgebildet wie und so wohl organisirt, als im Herzogthum Preußen‘ (Quelle: George Adalbert von Mülverstädt, Die Brandenburgische Kriegsmacht unter dem Großen Kurfürsten; Magdeburg 1888)

Auch bei Erfassung der Wibranzen wird der Name notiert und es wird die Ausrüstung: Liberey u. Rock (Ober- u. Unterbekleidung) – Mußquete Degen und Pandelier (Bandelier) begutachtet.

Das Bandelier – auch Bandolier oder Bandalier; französisch bandoulière oder spanisch bandolera „Bändchen“- ist ein über die Schulter gelegter, schräg über den Oberkörper getragener breiter Lederriemen, an dem militärische Ausrüstungsgegenstände befestigt waren, die sich aufgrund ihres Gewichtes schlecht am Gürtel oder Leibgurt tragen ließen (Wikipedia)

Viele dieser einfachen Soldaten sind arm und kaum in der Lage, ihren täglichen Lebensunterhalt für sich und ihre Familie zu bestreiten. Es ist ihnen unmöglich, die für den Kriegsfall notwendige Ausrüstung anzuschaffen. Und so erscheinen viele von ihnen bei der Musterung ohne Degenohne Liberey oder ohne Hose….

Aus dem Protokoll der Musterung einer Kompagnie im Mai 1660 – Christoph Hillebrandt, Merten Pusch und Michel Madern kommen ohne Degen und ohne Hose
Unter insgesamt 130 ‚Gefreiten und Gemeinen‘ befinden sich 15 mit Rock und Hosen – 21 mit Rock und ohne Hosen und 46 mit Hosen und ohne Rock

In einem Begleitschreiben der Musterrolle des Amts Brandenburg berichtet der damalige Amtshauptmann Georg Abel von Tettau 1669: es sollten von den Ambts wybranzen‘ 60 Mann in guter Ausrüstung ‚in steter Bereittschafft gehalten werden‘, damit Sie sich ‚an ohrt und stelle, wohin Sie beordert werden möchten ohne mangell und tadell jedesmahl gestellen mögen‘ aber …: ‚Indem die Knechte wie sie gehöret, daß sich die Wibranzen zur Musterung ins Ambt gestellen sollen, auß den Dörfern verlauffen, (so) daß auch die armen Leuthe wenig Knechte in der Arbeit behalten, in sehr geringer Anzahl erschienen, wie es die Musterungs Roulle … besaget, und bitten die armen Unterthanen flehentlich, daß Sie mit Ausrüßtung sothaner Wibranzen bey gegenwärtigem Ihrem armen Zustand vor dieses mahl noch verschonet bleiben möchten …‘.

Auch im benachbarten Amt Balga ist es schwierig. Elias von Kanitz – zuständig für dieses Amt – berichtet 1669 nach der Musterung: insgesamt seien 93 Ritterdienste erfasst worden – 5 Pferde fürs Geschütz und 57 Wibranzen. Denjenigen, die keine ordentlichen Pferde oder eine mangelhafte Ausrüstung gehabt hätten, sei befohlen worden, ‚balden alles sich volständig anzuschaffen‘. Bei den Wibranzen gibt es auch in diesem Amt Probleme. Elias von Kanitz gibt an: ‚Die Wybrantzen seindt meistentheils Kerl von 18 bis 20 Jahr, weilen die alten Knecht mehrentlich auf Erbe genommen, wegen der wüsten, unbesetzten Huben, so noch frey Jahre haben und verarmten Pauren, gehen etliche ab … Das Gewehr derselben ist bei der licentirung abgenommen und ins Zeughauß gebracht worden. Ist ihnen zwar ernstlich anbefohlen, Ober- und Untergewehr zu schaffen, die Pauren aber schüzzen die große armuth und unvermögenheit vor‘.

Doch auch dies ist möglich: der Schmied Michael (Michell) Liedtke aus Stettinen im Kirchspiel Eichhorn, der dort 6 Hufen besitzt, leistet 1669 gar keinen Dienst – stattdessen gibt er 21 Rthl in die Churfürstliche Kriegs-Cammer!

Tipps:

Die Musterrollen sind hier zu finden: Musterrollen 1604-1669

Das Internetangebot www.preussenchronik.de ist als Begleitangebot zur sechsteiligen Fernsehdokumentation entstanden, die 2000/2001 im Ersten Programm der ARD, im ORB-Fernsehen, im WDR-Fernsehen, auf B1 (SFB) und Phoenix gezeigt wurde.

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