Während mein Vorfahre Johann Wilhelm Hellwich die Mühlen von Groß Steegen und Liebnicken bei Canditten im Kreis Preußisch Eylau betreibt, übt Johann Krumpholtz das Müllergewerbe in Neuhausen im Samland aus. Im Dezember 1755 übernimmt er die dortige Mühle in Erbpacht.
Im Mai 1760 kommt es in Königsberg zu einem Prozess gegen Johann Krumpholtz und seine Ehefrau Anna Christina geb. Kratzer. Der Müllergesell Gottfried Schachner (Schaackner), der 1758 und 1759 jeweils für einige Zeit in der Neuhauser Mühle angestellt war, beschuldigt seinen ehemaligen Dienstherrn des Diebstahls und der Defraudation (Steuer- oder Abgabenhinterziehung) .
Derartige Anschuldigungen kommen im Müllergewerbe immer mal wieder vor, weshalb der Beruf zeitweise zu den ‚unehrlichen‘ Berufen gezählt wird.
Im Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit galt das Müllergewerbe als anrüchig und „ehrlos“. In der Frühen Neuzeit wurde es vielerorts zu den „unehrlichen“ Berufen gezählt. Oft wurden den Müllern Betrügereien nachgesagt, insbesondere in ihrem Kundenkreis, dem Bauernstand. So karikiert Geoffrey Chaucer im Prolog der Canterbury Tales einen Müller: „Ein Schwadronierer war er und Possenreisser, der alle üblen Schliche seines Handwerks kannte, der wohl wusste, wie man Korn unbemerkt beiseite schafft, wie man mit sicherer Hand den Wert des Korns bemisst und dann die Metzen dreimal nimmt.“ (Wikipedia)
Gottfried Schachner sagt vor Gericht aus, ihm sei befohlen worden, vom Getreide der Mahlgäste täglich 1 Scheffel Futterschrot und wöchentlich 1 Scheffel Brotmehl zur Haushaltung des Müllers zu entnehmen. Auch vom Malz und Branntweinschrot habe er jeweils 1 Scheffel abgezweigen müssen. Bei Abwesenheit des Müllers habe seine Ehefrau bei diesen Betrügereien geholfen. Sie wird in der Anklage als ‚Co-Inquisitin Anna Christina‚ betitelt.
Verschiedene Zeugen bestätigen, dass ihnen in der Mühle Getreide abhanden gekommen sei – Arrendator Wasserberg sagt aus, ihm sei Malz entwendet worden – Krüger Baering habe seinen Knecht Samuel Lau verdächtigt und bestraft, weil Getreide fehlte – Kaesert, Siegmund und der Oberwarth Johann Müller aus Prawten geben an, bei ihnen seien ganze Säcke mit Getreide verschwunden – weitere Zeugen sind: Friedrich Hamann, Christian Hempel, Christoph Matern, Daniel Marquardt, Ringeltaube, Hermenau …
Außer Gottfried Schachner werden auch andere Müllergesellen befragt, die zeitweise in der Neuhauser Mühle angestellt waren. Genannt werden: Johann Neumann – George Lemcke – Johann Stallbaum – Carl Ross – Paul Radau – der Lehrbursche Naps und Friedrich Wilhelm Kieter (Keyter).
Johann Krumpholtz: leugnet zunächst alle Vorwürfe – sein Geselle würde ihn aus Rache beschuldigen – dieser habe eine ‚schlechte Religion‘ und würde nur selten am Abendmahl teilnehmen. Einige Verfehlungen gibt der Müller zu und kann dies auch begründen – er müsse zu viele Steuern zahlen – es bliebe nichts zum Unterhalt übrig, weder für ihn und seine Familie, noch für die Gesellen, die Unterhaltung des Gebäudes und des Mahlwerks – auch in anderen Mühlen sei es gebräuchlich, gehäufte Metze zu nehmen.
Die Mühle wird besichtigt und anschließend wird berichtet: es zeigten sich deutliche bauliche Mängel. An verschiedenen Stellen des Mühlengebäudes herrscht Dunkelheit – die Mahlgäste können nicht sehen, was mit ihrem Getreide geschieht – entdeckt wird ein ‚Kasten in der dunklen Cammer‘, in dem das entwendete Schrot verwahrt wurde – bei der Visitation der Mühle habe der Müller diesen Kasten ‚ins Hauß geschmißen‘ – die Dieberei konnte mit Hilfe vieler ‚Diebes-Löcher‘ ausgeübt werden – so gab es ,verborgene Gänge und eine Treppe auß der Stuben-Cammer auf die Sack-Lucht‘ um heimlich dort hinzukommen – auch seien die ‚Umläuffe umb die Mühlensteine, welche nach dem Mühlen Reglement oben einen Zoll, unten aber … drey Zoll vom Stein abstehen sollen viel Größer zu Beförderung des gottlosen Vorhabens und Diebstahls‘. Sämtliche Mängel werden bei der Besichtigung so vorgefunden wie sie der Geselle Schackner zuvor beschrieben hatte.
Johann Krumpholz betont, all diese Mängel und alle in der Mühle befindlichen Löcher seien dort schon gewesen als er die Mühle übernommen habe …
Das Königsberger Hofgericht entscheidet: Johann Krumpholz wird zu zweijähriger Festungsstrafe in der Festung Pillau verurteilt und muss innerhalb von 8 Tagen:
- den Verschlag des Mahlgerüstes abreißen
- die Wand hinter der Treppe zur Sack-Lucht verändern
- ein ordentliches Fenster aus Glas einbauen
- die Treppe von der Kammer auf die Lucht abbrechen
- das Loch von der Küche in die dunkle Kammer schließen
- die Umläufe um die Mühlsteine zu verändern
Außerdem soll er den geschädigten Mahlgästen Getreide zurück geben:
In der Urteilsbegründung wird das ‚verstockte Gemüth‘ des Müllers hervorgehoben – ‚die ganzen Acta zeigen, wie verstockt er alles zu leugnen bemüht gewesen‘ und ‚wie gewaltig Inquisit Johann und seine Ehegattin variiret und halsstarrig geleugnet‚ hätten.
Da der Müllergeselle Gottfried Schachner sich zu den Diebstählen hat anstiften lassen, wird dieser der ‚Complicität‚ wegen verurteilt. Bei der Urteilsfindung wird jedoch berücksichtigt, dass er derjenige war, der die Betrügereien ans Tageslicht gebracht hat. Sein Urteil lautet: 3 Monate Arbeit in Fesseln und Banden, halb bei Wasser und Brot. Gottfried Schachner ist jedoch inzwischen verschwunden – er kann seine Strafe erst verbüßen, wenn er wieder dingfest gemacht werden konnte.
Im September 1760 wendet sich Johann Krumpholtz – seit einigen Wochen Insasse der Festung Pillau – an die russische Kaiserin Elisabeth, die ‚Selbstherrscherin aller Reußen‚, die zu dieser Zeit auch die Landesherrin Preußens ist.
Historischer Hintergrund: Im Jahre 1756 bricht der ‚Siebenjährige Krieg‚ aus. Zarin Elisabeth I. erklärt durch Patent vom 31. Dezember 1757 Ostpreußen als russisches Eigentum. – 1758 marschieren russische Truppen in Königsberg ein und die Stadt verwandelt sich für einige Jahre in eine ‚kaiserlich-russischeStadt‚. Die Stände leisten der neuen Landesherrin den Huldigungseid. Es werden sämtliche preußische Insignien entfernt und russische Staatsfeste gefeiert. Bis 1762 gehört Königsberg zu Russland.
Johann Krumpholtz schreibt: ‚Bey meinen gegewährtig unglückseligen Umbständen, die Ew. Kayserlichen Majestät in Hohen Gnaden erinnerlich seyn wird, ich wegen des Vorfalls mit dem Mühlen Baumeister Stannius zur Vestung condemniret und schon viele Wochen in Pillau geseßen, wird mein Elend noch durch mehrere mich betroffene Unglücksfälle biß zum gänzlichen ruin … vergrößert, indem der neuliche ungewöhnliche Regen und die daher entstandene Fluth, den Schleusen-Thamm ausgerißen, dergestalt daß mir daraus ein gantz unersetzlicher Schade erwächset‘. (Anmerkung: ich konnte leider nicht herausfinden, welche Rolle der Mühlenbaumeister Stannius hier spielt)
Die Bitte um Begnadigung findet Gehör! Das Königliche Hofgericht lässt durch Herrn Korff -den damaligen Generalgouverneur von Königsberg – mitteilen, Johann Krumpholtz sei ‚zu Abwendung seines und der Seinigen gäntzlichem Ruins … vor dieses mahl aus Ihro Kayserlichen Majestaet …Allerhöchster Huld und Erbarmen und in Ansehung des am morgenden Tage einfallenden Geburths-Festes Sr. Kayserlichen Hoheit des Groß-Fürsten Paul Petrowitsch von der weiteren Vestungs-Straffe befreyet‚.
links: Nikolaus Friedrich von Korff
Die Festungstrafe wird in eine Geldstrafe umgewandelt. Familie Krumpholtz soll nun stattdessen 2oo Reichstaler aufbringen. Am 11. November wendet sich auch Johanns Ehefrau an die Kaiserin und bittet:
‚Wann Ewr. Excellence die meinem Ehemann dictirte zweyjährige Vestungs Straffe dergestalt gnädigst mitigiren geruhet haben, daß an deßen statt eine Geld Buße á 200 Rthl erleget werden soll, so erkenne ich tiefgebeugtes Weib nebst meinen 4 armen Kindern solche Huld fusfälligst mit dem unterthänigsten Danck und bin(,) nach dem ich meine gantze Armuth hingegeben(,) endlich bereit(,) die mit Winseln und Thränen zusammen gesuchte 200 Rthl zu bezahlen.
Wann aber Ewr. Excellence nach dero angebohrnen Huld und Gnade mich sehr betrübtes Weib in meiner Angst nicht unerhört laßen werden so flehe unterthänigst und dehmütigst an in Huldreichem Betracht(,) daß ich schon in diesem Process fast alle das Meinige eingebüßet maaßen mein Mann auch bereits 1 halb Jahr in der Vestung Pillau geseßen höchst dieselben geruhen von diesen mir sehr schwer gewordenen 200 Rthl ein Quantum gnädigst zu erlaßen. Ich ersterbe in unterthänigster Ehrfurcht‘
Am 30. November folgt ein weiterer Bittbrief des Müllers an die Kaiserin:
‚Wann Ewr. Excellence so gnädig gewesen und mir die dictirte Vestungs Straffe huldreichst erlaßen, so verehre solche Grace fusfälligst mit dem unterthänigsten Danck.
Wenn aber jetzt das Müller Gewerck mir als einen gewesenen Vestungs Arrestanten verschiedene Vorwürffe machet und mich gar nicht in ihren Innungen leiden will als flehe Ewr. Excellence ich tiefunterthänigst an(,) Höchstdieselben geruhen(,) mich gnädigst in integrum zu ristativiren und es dahin zu verfügen daß das Müllergewerck mir wegen meines Inquisitions Proceßes keine weiteren Vorfwürffe gemacht werden möge. Ich ersterbe in tiefster Unterthänigkeit.
Johann Krumpholtz bekommt offenbar keine weiteren Probleme – in den Prästationstabellen des Amts Neuhausen findet man seinen Erbkauf-Contract, der im Juli des Jahes 1763 neu geschlossen wird. Bestätigt wird der Vertrag von König Friedrich II (Friedrich dem Großen), der mittlerweile wieder zuständig ist …