Zweimal jährlich kommen die Probenreiter …

Als ‚Muster‚- bzw. ‚Probenreiter‚ wurden ehemals reisende Händler bezeichnet, die mit Proben ihrer – meist in großen Städten produzierten – Waren durch die Lande zogen und sie den Kaufleuten anboten.

Quelle: Ludolph Schleier, Contor-Lexikon für deutsche Kaufleute; Leipzig 1844

In seinem Buch ‚Kreuz- und Querzüge eines Probenreiters‘ beschreibt Paul Fuchs das Aufkommen dieser Handlungsreisenden 1865 auf humorvolle Weise:

‚Im Mittelalter gab es irrende Ritter, die zu Ehren ihrer Dame auf Abenteuer auszogen, fahrende Schüler, welche die Nilquellen der Wissenschaft zu entdecken strebten; in unserem Jahrhunderte – dem Jahrhunderte des sogenannten Fortschritts – versanden die tiefen Ströme. …

An Stelle der irrenden Ritter sind die Touristen getreten. … Die fahrenden Schüler haben sich dem Materiellen zugewendet, ihre Anzahl wächst täglich, sie sind jetzt der Segen und die Hoffnung der Eisenbahnaktionäre, die Vorsehung der Gasthäuser, die Freude und Plage der Geschäftsleute, die sie gleich Heuschreckenschaaren überziehen.

Für sie werden neue Schienenstränge gelegt; für sie wachsen große Gasthäuser wie Pilze aus der Erde; als neue Ashavere, die weder rasten noch ruhen dürfen, ziehen sie von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf … es sind die fahrenden Schüler moderner Wissenschaft – der Industrie – in höherem Style Geschäftsreisende, auf Französisch commis voyajeurs, im gewöhnlichen Leben Probenreiter genannt‘.

Quelle: Paul Fuchs, Kreuz- und Querzüge eines Probenreiters; Humoresken; Würzburg, 1865

Derartige ‚Probenreiter‚ tauchen auch im ostpreußischen Landsberg zweimal jährlich auf …

Rektor Carl Ludwig Holldack, der die Landsberger Chronik in den Jahren 1876-1880 führt, berichtet: ‚Was in unserer Zeit besonders die Handelswelt charakterisiert, das sind die Proben- oder Musterreiter (commis voyajeur). In den 1840 ziger und 50 ziger Jahren kamen Besitzer größerer Handlungs- und Weinhäuser von Berlin, Mecklenburg-Schwerin und namentlich Weinhändler Wolff von Stettin mit eigener Equipage nach unserer Provinz und schlossen mit Kaufleuten Geschäfte für ihr eigenes Haus ab.

Ich glaube: es reisten damals auch schon für die Färbereien Handlungs-Commis herum und schlossen namentlich für den theuren Indigo mit gutsituirten Färberei-Besitzern Contracte ab und machten dabei gute Geschäfte. Solchen reichen Handlungsherrn kam es dann nicht auf einen Tag an manchen Orten an. Da sie ihr eigenes Fuhrwerk hatten, konnten sie ja zu jeder Stunde des Tages rechts und links nach einer anderen Stadt abfahren(;) sie blieben daher an manchen Orten, da sie Geschäfte gemacht und amüsirten sich auch mit ihren Geschäftsfreunden.

So blieb gewöhnlich der Weinhändler Wolff aus Stettin immer noch einen Tag länger in unserem Städtchen, fuhr dann mit uns (ich war als junger Mann gewöhnlich auch dabei) nach dem Park von Worienen (der sehr schön gehalten war) und ponirte dort unter grünem Laubdach am Parkteiche ein Paar Bowlechen und fuhr dann zurück mit uns über Eichhorn und Gr. Peisten nach Hause. Nur wenige Kaufleute: Reimer und Ohlenschläger hielten damals Wein auf Lager und A. Reimer und J. Ohlenschläger waren damals schon meine Freunde.

Zum Park von Worienen: ‚Schon Pastor Johann Friedrich Puttlich ist bei seinem Besuch in Worienen im Mai des Jahres 1795 begeistert von dem Schlosspark und einem wunderschönen Naturgarten. Er berichtet von ausländischen Bäumen wie Zypressen und Pappeln, von Akazien, seltenen Stauden und Gewächsen. Außerdem gab es mehrere Teiche, Brücken, eine Orangerie und an mehreren Stellen lauschige Sitzplätze. (Quelle: Worienen – Woryny – Chronik eines Ortes in Natangen)

Früher trafen solche Handlungsreisenden nur sporadisch bei uns ein(;) nachdem aber unser Land und unsere Provinz mit einem Netz von Eisenbahnen und Chausseen überzogen, kamen diese Herren oder schickten ihre Probe– oder Musterreiter aus allen Richtungen der Windrose zu uns und beglückten den Kaufsmannsstand mit allen nur möglichen Manufactur– und Material-Waaren-Proben. Es gab bald keine Handels-Branche, welche nicht durch solche Herren vertreten wurde. Da machten die Einen in Manufaktur– und Wollwaren, die Anderen wieder in Materialwaren. Die Einen in Pfropfen, die Anderen in Schwefelhölzchen(,) die Einen nur in Heringen (die sogenannten Heringsbändiger), die Anderen nur in Zigarren etc. etc.

Auch sogar der Handwerkerstand wurde von solch reisenden Herren bedient. Die Schuhmacher versorgte man nicht nur mit gutem Sohl- und Oberleder(m,) sondern führte ihnen Schuhleisten, Schuhzwecken aller Art und Stiefelblöcke zu. Die Bäkler und Faßbinder versorgte man für ihr Tonnen– und Eimer-Geschäft mit eisernen Bandnieten. den Tischler mit eisernen Holzschrauben etc. etc.

Fast alle Handlungen, die solche Leute ausschicken, geben ihren Abnehmern einen halbjährigen Credit und daher kommt’s daß man bei diesen Musterreisenden mehr Bestellungen macht als bei bekannten Handlungshäusern, bei denen man gewöhnlich gleich bar bezahlt.

Diese Probenreiter ziehen durch unsere Provinz in Massen, gewöhnlich zweimal des Jahres: einmal im Herbste, wenn sie ihre Waren feilbieten und dann im Frühjahr, wenn sie zum Einkassieren des Geldes für ihre Waren kommen‘.

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