Zurück aus Natangen …

Es war meine dritte Fahrt in die Heimat meiner ostpreußischen Vorfahren – diesmal war ich nicht mit meiner Freundin unterwegs, sondern mit meinem Sohn, dem ich gern die wunderschöne Gegend um Landsberg (Górowo Iławeckie) zeigen wollte, in der viele unserer Ahnen etwa 350 Jahre lang lebten. Für mich war es ein besonderes Abenteuer, denn ich übernachtete erstmals in einem Camper!

Auf der Hinfahrt – irgendwo in Hinterpommern

Begleitet wurden wir mehrere Tage lang von meinem Genealogen-Freund Maarten, der die lange Autofahrt aus Krakau auf sich genommen hatte, um uns zu treffen. Wir kennen uns schon lange, haben uns bereits in Oldenburg und Krakau getroffen und gemeinsam den Soldatenfriedhof in Galizien besucht, auf dem mein Großvater begraben liegt. Nun konnten wir zusammen Natangen genießen!

Dank Maarten kann ich inzwischen auch den polnischen Namen der Geburtsstadt meines Opas – Górowo Iławeckie – einigermaßen richtig aussprechen. Wir haben fleißig geübt!

Ausgangspunkt für unsere Ausflüge war – vom Namen her sehr passend – ‚Terra Natangia‚ in Żywkowo, wo wir von unserer Gastgeberin Alicja sehr verwöhnt wurden und uns ausgesprochen wohl fühlten. Die Störche begrüßten uns jeden Morgen mit ihrem Geklapper und Alicja brachte mir schon vor dem eigentlichen – immer sehr leckeren – Frühstück einen starken Kaffee, ohne den ich nicht richtig wach geworden wäre. Eigentlich hätten wir mehr Zeit auf dem Gelände verbringen müssen, denn Terra Natangia ist ein kleines Paradies! Hier sieht man noch ein wenig mehr.

Żywkowo hieß früher Schewecken – der kleine Ort ist von Górowo Iławeckie aus gut zu erreichen. Man fährt an der Abbiegung nach Woryny vorbei, durch Gallehnen (Gałajny) am Gut Grünhöfchen (Gradzik) vorüber- das immer noch so aussieht wie vor 20 Jahren – und landet schließlich auf einem etwas rumpeligen Weg im Storchendorf Żywkowo.

‚Fährt man an der letzten Abzweigung geradeaus, kommt man zur russischen Enklave Kaliningrad. Wäre die EU eine Scheibe, hier wäre sie zu Ende. Links dagegen geht es in das letzte Dorf Polens, Schewecken/Żywkowo. Die kleine Siedlung mit den Backsteinhäusern und hölzernen Gehöften ist typisch für Masuren, den wald- und seenreichen Landstrich im ehemaligen Ostpreußen. Die meisten Dorfbewohner sind aber eher ungewöhnlich: Auf zwei Beinen, aber sehr federreich: Störche‘. (Quelle: Deutsches Kulturforum östliches Europa)

ŻywkowoSchewecken

Die erste Nachricht über Schewecken stammt aus dem Jahre 1617, als Wolf von Kreytzen auf Gr. Peisten „im Schewecken“ ein Vorwerk von 12 Hufen anlegen wollte. Ihm wurde jedoch das Dorf Schönwiese verliehen, das näher zu seinem Hauptgut lag. Um 1650 waren die 11 Hufen von „Schweyken“ mit 3 Bauern besetzt: Daniel KampHans Schincke und Hans Schmidt, der Schulze. Außerdem lebte noch der Instmann Gregor Kroll im Ort. 1785 hat das königliche Dorf 6 Feuerstellen und gehört zur Kirche Pr. Eylau1820 sind es ebenfalls 6 Feuerstellen und 44 Einwohner. … 1846 sind 8 Wohngebäude und 53 Einwohner im Dorf – 1885 gibt es 13 Haushalte mit 73 Einwohnern in 8 Häusern. … Etwa am 10. Februar 1945 wurde Schewecken von sowjetischen Truppen besetzt. Es wurde kaum etwas im Dorf zerstört. (Quelle: Horst Schulz, Die Städte u. Gemeinden des Kreises Pr. Eylau)

Auch bei dieser Reise bin ich wieder total begeistert von der natangischen Landschaft – von den sanften Hügeln, den dichten Wäldern und weiten Feldern, den Alleen, kleinen und großen Seen und von dem ostpreußischen Himmel, der als polnischer Himmel ebenso beeindruckt!

Die Straßen sind sehr viel besser als vor 12 Jahren – auf die Besichtigung einiger kleiner Vorfahren-Orte verzichteten wir jedoch, da sie nur auf unbefestigten Sandwegen erreichbar gewesen wären.

Ich war gespannt darauf, ob sich innerhalb der Stadt Landsberg viel verändert hat seit ich im Sommer 2011 zuletzt dort war.

Das kleine Café am Marktplatz, in dem meine Freundin und ich auch mit Frau Heidenreich – der damaligen Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft Natangen – im Sommer 2011 gesessen hatten, ist leider nicht mehr vorhanden – aber viele schöne Blumen rund um das Rathaus und am Töpferteich neue Wege, Bänke und Lampen.

Einen Bezug unserer Familie gibt es zu einigen Häusern in der ehemaligen Burgstraße – heute Warminska. Im Haus Nr. 144 wohnten von etwa 1890 bis um 1906 der Kaufmann Julius Schnell und seine Ehefrau Auguste Clara Ankermann mit ihrer Familie.

Im Erdgeschoss des Hauses befand sich das Geschäft, in dem Julius Schnell Kolonialwaren sowie Eisen- und Stahlwaren verkaufte. Hier werden viele unserer Vorfahren ein- und aus gegangen sein! Das Haus existiert noch.

Das gelbe Haus auf dem linken unteren Bild wurde mittlerweile abgerissen – dort befindet sich nun ein Parkplatz und so kann man durch die entstandene Lücke vom Marktplatz aus in die Ferne blicken.

Obwohl es eigentlich geschlossen war, ermöglichte uns Frau Lewandowska – die jetzige Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft Natangen – den Besuch des Landsberger Museums, das ich nie zuvor besucht hatte. Die Räume sind voll mit gesammelten Fundstücken aus der Zeit vor 1945: Namensschilder Porzellan Schmuck Fotos u.v.a. Ich fragte mich, in welchen Haushalten sich wohl all diese Dinge befunden haben mögen … Vielleicht hat auch jemand aus meiner Verwandtschaft aus einer der Tassen getrunken …?

Welche Familien mögen diese Sprüche täglich gesehen und evtl. verinnerlicht haben…? (So wie ich selbst den Spruch, der mich durch meine Kindheit begleitete: ‚Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt irgendwo ein Lichtlein her‘!). Wer mag ‚Die Ahnen‚ von Gustav Freytag wohl in den Händen gehalten und gelesen haben …?

Am Schlossteich von Wildenhoff versuchten wir uns vorzustellen, wie es ausgesehen haben mag als das Schlossgebäude dort noch stand.

Natürlich freute ich mich besonders darauf, Worienen (Woryny) wiederzusehen – den Ort, mit dessen Geschichte ich mich für die Zusammenstellung der Chronik so lange beschäftigt habe. Dass sich der Zustand des Dorfes sehr gewandelt hat, wusste ich vor unserem Besuch. Den Ort wiederzusehen, hat mich sehr berührt.

Am ehemaligen Parkgelände steht nur noch ein einzelnes Haus, der frühere Woriener Krug. Das im unteren Foto angekreuzte Gebäude – einstmals Wohnhaus von Familie Ebner – war bereits bei meinem 1. Besuch vor fast 20 Jahren sehr marode und zerfallen; nun existiert es nicht mehr.

Das früherer Administratorenhaus wurde aufwändig renoviert und ist nun ein Seniorenheim. Endlich konnte ich mit eigenen Augen die Inschrift aus der Zeit der Familie von Domhardt bewundern, die man bei der Freilegung des Sockels entdeckt hatte. (Hier kann man Näheres dazu nachlesen) … Und ich stellte mir vor, dass auch die Kutsche neben dem Gebäude noch aus der Zeit der Familie – übrig geblieben sei, aber das wird wohl nicht so sein!

Der Text aus den Woriener Gutsakten (links ein Ausschnitt aus meinem Buch) ist nun auch in polnischer und englischer Sprache auf einem Schild vor dem Gebäude nachzulesen.

Eine große Freude war der Besuch bei Herrn Joks – dem letzten in Worienen geborenen und dort verbliebenen Bewohner – und seiner Ehefrau. Wir verbrachten eine ganze Zeit gemeinsam in ihrem Garten – Frau Joks bewirtete uns mit leckeren gebackenen Apfelpfannküchlein und Herr Joks erzählte von seiner Kindheit in Worienen

Auf dem Kohnertsberg – von den heutigen Bewohnern der Region ‚Napoleonsberg‚ genannt – erhielt ich einen Eindruck von dem Ausblick, den mein Ururgroßvater Carl Westphal von seiner dort oben sich befundenen Holländermühle auf die Stadt Landsberg gehabt haben muss … Welch ein toller Standort – die ganze Stadt lag ihm zu Füßen!

Weitere Ausflugsziele waren Bartenstein Schippenbeil Heilsberg Canditten Neukrug – das Gutshaus Nerfken – die Kirche von Petershagen Rastenburg – die Wolfsschanze – die Burgruine in Prassen und das kleine Kirchdorf Eichholz im ehemaligen Kreis Heiligenbeil.

Leider habe – wie schon im Sommer 2011 – wieder nicht daran gedacht, Heinrichswalde (Wezykowo) zu besuchen, obwohl wir täglich ganz in der Nähe waren. Nicht zu fassen!

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Ein Stübchen bey der Schule …

Wie gut, dass ich selbst erst im 20. Jahrhundert Lehrerin wurde. Auch das war zwar nicht immer einfach, aber um ein Stübchen bey der Schule musste ich niemanden bitten!

Ein solches Stübchen ist der dringliche Wunsch des in der Stadt Preußisch Eylau (heute Bagrationowsk) lebenden Rektors Christian Baurath, der sich im Jahre 1709 – zunächst beim Magistrat der Stadt – über seine Wohn- und Arbeitssituation beklagt.

Die Bürokratie greift und mehrere Jahre lang wird nur hin und her geschrieben:

April 1709: Die Geheimen Staatsräte von Rauschke, von Kreytzen und von Canitz an den König: der Preußisch Eylauer Rektor Christian Baurath habe sich darüber beschwert, dass er im Eylauer Schulgebäude einen ‚gar zu engen und kleinen Raum habe‘ – er müsse mit einerzureichenden Wohnung versorget werden, ‚umb die Studia ungehindert excoliren (= vervollkommnen) und seiner Function in Unterrichtung der Jugend desto beßer Genüge leisten zu können‘ – die frühere Schule sei weitaus größer gewesen und es müsse noch wenigstens ein Stübchenim ietzt lauffenden Jahrangebaut werden! Die Kosten müsse der Magistrat übernehmen.

Dem Gesuch des Rektors wird statt gegeben – der König genehmigt den Anbau, aber die Schreiberei geht weiter!

September 1709: der Bürgermeister der Stadt Preußisch Eylau an den König: zwar habe der Rektor der Schule um Anbauung eines kleinen Gelaßes gebehten‚ und er habe ja auch die Erlaubnis erhalten, ‚weilen aber die Armuth bey dieser Stadt dergestaldt notorisch, daß die Bürger eine große Unvermögenheit vorschützen‘ möchte er der armen Bevölkerung die Kosten nicht zumuten – sein Vorschlag: der Bau solle von der Kirche bezahlt werden!

4, Juli 1716: Amtshauptmann Heinrich Albrecht von Kalnein ordnet an, die Einwände seien unerheblich und ’sothaner Bau (müsse) ohne Verzug vorgenommen werden‚- sonst drohe eine ‚Fischkalische Straffe‘

17. Juli 1716: ein Schreiben des Eylauer Magistrats an den König: der Rektor wolle ein Stübchen zu seinem Plaisir‘ – er solle sich mit seiner Wohnsituation zufrieden geben und die Bürgerschaft mit solch unnötigen Unkosten nicht beschweren – auch die Bürger könnten ‚ihre eigenen Wohn Häuser selbst nicht beßern und im rechtem Stande halten‘ – unterschrieben vom Pr. Eylauer Bürgermeister Salomon Müller und dem Ratsverwandten Jacob Ritterhausen ‚im Nahmen der gantzen Gemeine‘

Christian Baurath gibt jedoch nicht auf. Er wendet sich 1716 erneut an den König und berichtet, dass man ihm trotz Bewilligung und hoher Königlicher Verordnung noch immer kein Stübchen angebaut habe, da der Pr. Eylauer Magistrat dies verhindere.

Das klingt dann so:

‚Welcher gestaldt Ew. Königl. Majestät auf mein allerunterthänigstes Vorstellen und Bitten, daß mir von hiesiger Stadt ein Stübchen noch angebauet werden möchte, bereits 1709 allergnädigst verordnet, solches wird die Beylag A mit mehreres zeugen. Nun habe mich zwar bey hiesigem Ambte deshalb gebührend angegeben, auch das vorerwehnte hohe Königl(iche) Verordnung zur Execution gebracht werden solte, alle mahl gute Versicherung erhalten.

Weilen aber unterschiedene Verhinderungen, bald durch Verenderung eines Actuary beym Ambte, bald des Stadt-Magistratus, denn gar eines Haubtmanns alhir vorgefallen; so bin dadurch in meinem Gesuch jeder Zeit gehindert worden, daß ich bißhero nicht zum Stande kommen können. Da ich nunmehro unter dem Gouvernement unseres itzigen Ambts-Haubtmanns die Sache von neuem gesuchet, auch wie die Ambtsschreiber Sub B. et C. es ausweisen, vom Ambte gutte Verabscheidungen erhalten; So suchet nun der Magistrat auf allerhand Art mir schwer zu fallen, und bey der ohnedem beschwerlichen Schul-Arbeiten mein Leben noch sauer zu machen.

Wann aber Allergnädigster König und Herr, wie ich solches vorhin schon in aller Unterthänigkeit vorgestellet, in dem einen Stübchen, welches mehr einem Gange, alß Stübchen ähnlich ist, ich mit den Meinigen mich unmöglich behelffen, noch ich mir ein Studia prosequiren (prosequieren=einklagen; gerichtlich verfolgen) kan, Ew. Königl. Majestät auch sothane höchstnöthige Anbauung eines Stübchens gemäs vorher erwehnter Hohen Verordnung Sub. A bereits allergnädigst verstattet; alß(o) flehe ich den Thron Ew. Königl(ichen) Majestät hirdurch nochmahlen allerunthertänigst an, mich wieder E. hiesigen Magistrats oder vielmehr nur einiger zu contradiciren (=widersprechen) gewohnter unruhiger Bürger ungegründetes Einwenden bey der einmahl ergangenen Hohen Königl(ichen) Verordnung, auch denen Ambtsschreiben mächtigst zu schützen, und den Magistrat zur schuldigen Parition (=Befolgung) Ew. Königl(ichen) Majestät ergangenen Hohen Verordnung nachdrücklich anzuhalten.

Getröste mich allergnädigster Erhörung und ersterbe Ew- Königl(iche) Majestät

allerunterthänigster Knecht Christian Baurath

Ob Christian Baurath sein Stübchen jemals erhalten hat, erfährt man leider nicht … Die Akte des Königsberger Etatsministerium mit dem gesamten Schriftverkehr ist als Digitalisat des Staatsarchivs Olsztyn hier einzusehen!

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‚Gott lob! daß wir ihn loß seyn‘.

Christoph Albrecht Weber wird am 29.9.1725 in Langheim geboren. (Quelle: Daniel Heinrich Arnolds ‚Kurzgefaßte Nachrichten von allen seit der Reformation an den lutherischen Kirchen in Ostpreußen gestandenen Predigern‘). Zunächst ist er Lehrer an der Kneiphöfschen Schule in Königsberg – anschließend kommt er als Adjunkt des Pastors Andreas Perschke in die ostpreußische Stadt Landsberg, wird ab 1745 dessen Nachfolger und auch sein Schwiegersohn.

26 Jahre lang übt Christoph Albrecht Weber das Pastorenamt in Landsberg aus – 1780 verlässt er die Stadt, um das Pfarreramt in Eichholz im Kreis Heiligenbeil zu übernehmen. Dort soll er am 29.1.1792 verstorben sein. (Quelle: Daniel Heinrich Arnolds ‚Kurzgefaßte Nachrichten von allen seit der Reformation an den lutherischen Kirchen in Ostpreußen gestandenen Predigern‘)

Der Umzug des Pfarers von Landsberg nach Eichholz wird begleitet von viel Aufregung und Ärger – der Ärger ist so groß, dass der Landsberger Richter Paulien am 22. Mai 1780 über Pfarrer Weber sagt: ‚Dieser Mann findet Vergnügen(,) sich bis an sein Lebensende zu zancken, Gott lob! daß wir ihn loß seyn

Während der Umzugsvorbereitungen beobachten der Ober-Kirchenvorsteher Johann Weyde, die Kirchenvorsteher Drell, Casimir und Krieger, dass der Pfarrer im Pfarrgarten ’sein Unwesen treibt‘. Sie berichten dies dem Landsberger Magistrat, der sich pflichtgemäß an den Lehnspatron der Stadt Landsberg – den Reichsgrafen von Schwerin auf Wildenhoff – wendet. Dieser wiederum kontaktiert den.König.

3 Monate lang – von Anfang Mai 1780 bis Ende Juli 1780 – herrscht reger Schriftverkehr zwischen allen Beteiligten und letztlich wird gegen Christoph Albrecht Weber eine Klage eingereicht. In der Klageschrift werden sämtliche Vergehen des Pfarrers ausführlich beschrieben. Hier einige Auszüge daraus:

Der Graf von Schwerin beklagt ‚die üble Gebahrung dieses Mannes‘ … Pfarrer Weber, der bei seinem Abzuge sich weigerte, sowohl die in Händen habende Vocation heraus zu geben, als auch sellbst die Taufbücher und andere zur Kirche gehörige Nachrichten, …. hat bis hirher mir in der betrübte Lage gebracht, daß ich die Pfarrer Stelle in Landsberg noch nicht besetzen können, da mir diejenige Vocation ermangelt, nach welcher ein andrer Prediger berufen werden soll. (Anmerkung: Vokation bezeichnet im evangelischen Kirchenrecht die kirchliche Berufung in ein geistliches Amt)

Christoph Albrecht Weber nimmt aber nicht nur diverse Unterlagen mit nach Eichholz, sondern verwüstet vor seinem Abzug auch den Garten des Landsberger Pfarrhauses. Der Graf berichtet: ‚Die umgehauenen Eschen, Castanien Bäume, so in dem innern Garten der Widdem gestanden, hat er zu Bretter schneiden und sie wegfahren laßen wollen, wenn nicht durch die Wachsamkeit der Kirchen Väter die Sache verlautbaret worden wäre, und die an den Magistrat von mir geschehene Ansuchung, daß dieses alles mit Arrest beleget werden möchte, angekommen gewesen.

Auflistung der von Pfarrer Weber abgehauenen Bäum

‚Als Lehnspatron der Stadt und Kirche Landsberg kann ich unmöglich bey diesem erheblichen Vorgange gleichgültig bleiben‘ – der Graf weist darauf hin, dass die Pfarrhuben, die Gebäude und auch dieObst- und Geküch-Gärthenzum Unterhalt der Pfarrer zählen und also auch für den künftigen neuen Pfarrer nutzbar sein müssen.

Als der Glöckner und die Kirchenväter den Pfarrgarten kontrollieren, werden sie vom Pfarrer wüst beschimpft Auch dies erwähnt der Graf von Schwerin in der Klageschrift. Dort heißt es: ‚in welcher Art Pfarrer Weber die Kirchenväter, und den Glöckner behandelt, sie mit den Namen Ochsen und Reckel (=Flegel) beleget, und als diese ihm erwiederet, daß sie es auf Geheiß thun müßten, hat er ihnen abermahls gesagt, daß ein Ochse und Reckel wie der andere wäre‘.

Nach Abzug von Pfarrer Weber wird das Pfarrland übergangsweise von den Kirchenvätern bewirtschaftet und Kaplan Jacob Neumann übernimmt ‚willig und gern während der Prediger Vacance die Verrichtung des Dienstes‘. Der 1740 in Landsberg geborene Jacob Neumann – ein Sohn Landsberger Kantors Gottfried Neumann und seiner Ehefrau Barbara Sophia Goßky (Goski) geb. Schultz – wird schließlich auch der Nachfolger von Christoph Albrecht Weber.

Man findet die Akte des Königsberger Etatsministerium mit dem gesamten Schriftverkehr als Digitalisat des Staatsarchivs Olsztyn.

Auch in folgenden Berichten werden ostpreußische Pastoren und ihre Familien erwähnt:

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Zweimal jährlich kommen die Probenreiter …

Als ‚Muster‚- bzw. ‚Probenreiter‚ wurden ehemals reisende Händler bezeichnet, die mit Proben ihrer – meist in großen Städten produzierten – Waren durch die Lande zogen und sie den Kaufleuten anboten.

Quelle: Ludolph Schleier, Contor-Lexikon für deutsche Kaufleute; Leipzig 1844

In seinem Buch ‚Kreuz- und Querzüge eines Probenreiters‘ beschreibt Paul Fuchs das Aufkommen dieser Handlungsreisenden 1865 auf humorvolle Weise:

‚Im Mittelalter gab es irrende Ritter, die zu Ehren ihrer Dame auf Abenteuer auszogen, fahrende Schüler, welche die Nilquellen der Wissenschaft zu entdecken strebten; in unserem Jahrhunderte – dem Jahrhunderte des sogenannten Fortschritts – versanden die tiefen Ströme. …

An Stelle der irrenden Ritter sind die Touristen getreten. … Die fahrenden Schüler haben sich dem Materiellen zugewendet, ihre Anzahl wächst täglich, sie sind jetzt der Segen und die Hoffnung der Eisenbahnaktionäre, die Vorsehung der Gasthäuser, die Freude und Plage der Geschäftsleute, die sie gleich Heuschreckenschaaren überziehen.

Für sie werden neue Schienenstränge gelegt; für sie wachsen große Gasthäuser wie Pilze aus der Erde; als neue Ashavere, die weder rasten noch ruhen dürfen, ziehen sie von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf … es sind die fahrenden Schüler moderner Wissenschaft – der Industrie – in höherem Style Geschäftsreisende, auf Französisch commis voyajeurs, im gewöhnlichen Leben Probenreiter genannt‘.

Quelle: Paul Fuchs, Kreuz- und Querzüge eines Probenreiters; Humoresken; Würzburg, 1865

Derartige ‚Probenreiter‚ tauchen auch im ostpreußischen Landsberg zweimal jährlich auf …

Rektor Carl Ludwig Holldack, der die Landsberger Chronik in den Jahren 1876-1880 führt, berichtet: ‚Was in unserer Zeit besonders die Handelswelt charakterisiert, das sind die Proben- oder Musterreiter (commis voyajeur). In den 1840 ziger und 50 ziger Jahren kamen Besitzer größerer Handlungs- und Weinhäuser von Berlin, Mecklenburg-Schwerin und namentlich Weinhändler Wolff von Stettin mit eigener Equipage nach unserer Provinz und schlossen mit Kaufleuten Geschäfte für ihr eigenes Haus ab.

Ich glaube: es reisten damals auch schon für die Färbereien Handlungs-Commis herum und schlossen namentlich für den theuren Indigo mit gutsituirten Färberei-Besitzern Contracte ab und machten dabei gute Geschäfte. Solchen reichen Handlungsherrn kam es dann nicht auf einen Tag an manchen Orten an. Da sie ihr eigenes Fuhrwerk hatten, konnten sie ja zu jeder Stunde des Tages rechts und links nach einer anderen Stadt abfahren(;) sie blieben daher an manchen Orten, da sie Geschäfte gemacht und amüsirten sich auch mit ihren Geschäftsfreunden.

So blieb gewöhnlich der Weinhändler Wolff aus Stettin immer noch einen Tag länger in unserem Städtchen, fuhr dann mit uns (ich war als junger Mann gewöhnlich auch dabei) nach dem Park von Worienen (der sehr schön gehalten war) und ponirte dort unter grünem Laubdach am Parkteiche ein Paar Bowlechen und fuhr dann zurück mit uns über Eichhorn und Gr. Peisten nach Hause. Nur wenige Kaufleute: Reimer und Ohlenschläger hielten damals Wein auf Lager und A. Reimer und J. Ohlenschläger waren damals schon meine Freunde.

Zum Park von Worienen: ‚Schon Pastor Johann Friedrich Puttlich ist bei seinem Besuch in Worienen im Mai des Jahres 1795 begeistert von dem Schlosspark und einem wunderschönen Naturgarten. Er berichtet von ausländischen Bäumen wie Zypressen und Pappeln, von Akazien, seltenen Stauden und Gewächsen. Außerdem gab es mehrere Teiche, Brücken, eine Orangerie und an mehreren Stellen lauschige Sitzplätze. (Quelle: Worienen – Woryny – Chronik eines Ortes in Natangen)

Früher trafen solche Handlungsreisenden nur sporadisch bei uns ein(;) nachdem aber unser Land und unsere Provinz mit einem Netz von Eisenbahnen und Chausseen überzogen, kamen diese Herren oder schickten ihre Probe– oder Musterreiter aus allen Richtungen der Windrose zu uns und beglückten den Kaufsmannsstand mit allen nur möglichen Manufactur– und Material-Waaren-Proben. Es gab bald keine Handels-Branche, welche nicht durch solche Herren vertreten wurde. Da machten die Einen in Manufaktur– und Wollwaren, die Anderen wieder in Materialwaren. Die Einen in Pfropfen, die Anderen in Schwefelhölzchen(,) die Einen nur in Heringen (die sogenannten Heringsbändiger), die Anderen nur in Zigarren etc. etc.

Auch sogar der Handwerkerstand wurde von solch reisenden Herren bedient. Die Schuhmacher versorgte man nicht nur mit gutem Sohl- und Oberleder(m,) sondern führte ihnen Schuhleisten, Schuhzwecken aller Art und Stiefelblöcke zu. Die Bäkler und Faßbinder versorgte man für ihr Tonnen– und Eimer-Geschäft mit eisernen Bandnieten. den Tischler mit eisernen Holzschrauben etc. etc.

Fast alle Handlungen, die solche Leute ausschicken, geben ihren Abnehmern einen halbjährigen Credit und daher kommt’s daß man bei diesen Musterreisenden mehr Bestellungen macht als bei bekannten Handlungshäusern, bei denen man gewöhnlich gleich bar bezahlt.

Diese Probenreiter ziehen durch unsere Provinz in Massen, gewöhnlich zweimal des Jahres: einmal im Herbste, wenn sie ihre Waren feilbieten und dann im Frühjahr, wenn sie zum Einkassieren des Geldes für ihre Waren kommen‘.

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Familie Teichert in Grauschienen, Reddenau und Gallingen

In einem Heimatkreisblatt des ehemaligen Kreises Bartenstein, das im März 2023 erschien, ist u.a. ein Bericht über eine Familie Teichert zu finden, die aus dem Kreis Preußisch Eylau stammt und über lange Zeit auch dort lebte. Der Bericht basiert auf Erzählungen von Franz Georg Teichert. Es folgen einige Auszüge daraus – und einige Ergänzungen von mir.

Franz Georg Teichert wird 1867 im Dorf Grauschienen im Kreis Pr. Eylau als Sohn des Bauern Carl Teichert und seiner Ehefrau Maria geb. Boehnke geboren und wächst mit seinen Geschwistern in Grauschienen auf.

Die Ortsbezeichnung Grauschienen existiert im Kreis Pr. Eylau zweimal: es gibt das Dorf Grauschienen südlich von Groß Peisten und das Gut Grauschienen in der Nähe von Reddenau. Um Verwechslungen zu vermeiden, wurde das Dorf zeitweise ‚Groß Grauschienen‘ und das Gut ‚Klein Grauschienen‘ genannt.

Doch zurück zu Familie Teichert …

Nachdem der Vater 1878 in Reddenau einen Besitz von 3 Hufen gekauft hatte, verlässt die Familie das Dorf Grauschienen und zieht auf das neue Anwesen. Carl Teichert erwirbt auch das Nachbargundstück in Reddenau und pachtet zudem noch über 100 Morgen Pfarrland hinzu. Franz Teichert:

‚Als wir Brüder die Soldatenzeit hinter uns hatten, dachten wir auch daran, uns selbständig zu machen. Nachdem die Mutter 1892 gestorben war (Anmerkung: lt. Sterbeeurkunde des Standesamts Reddenau verstarb sie am20.2.1891), gab mein Vater die Wirtschaft ab und kaufte das Pfarrwitwen-Grundstück mit 3 Morgen Gartenland als Altensitz. Die Brüder und die Schwester wurden ausgezahlt und ich, Franz, übernahm die kleine Wirtschaft, die mein Vater mal angekauft hatte in einer Größe von 90 Morgen. Ich nahm deshalb die kleine, weil ich mir vorgenommen hatte, nicht in Reddenau zu bleiben.‘

Bei einer Festlichkeit erfährt Franz Teichert vom Tod des Landwirts Friedrich Wilhelm Langhals in Gallingen und davon, dass dessen älteste Tochter Auguste Maria Langhals, die seinen Besitz übernehmen solle, im heiratsfähigen Alter sei. Sie ist zu dieser Zeit 19 Jahre alt.

Friedrich Wilhelm Langhals verstirbt am 29.4.1895 in Gallingen. Er ist seit 1875 verheiratet mit Henriette Justine Molgedei aus Gallingen, einer Tochter von Friedrich Molgedei und Johanne Knippke.

‚Mit dieser Mitteilung ging ich nach Hause‘, berichtet Franz Teichert und ‚Da ich den Gedanken an die Einheirat nicht los wurde und auf der kleinen Wirtschaft nicht bleiben wollte, besprach ich das mit meinem Vater, welcher mir noch zuredete‘.

Familie Teichert aus Reddenau und Familie Langhals aus Gallingen lernen sich kennen und dann geht alles sehr schnell. Franz Teichert erzählt: ‚Da wir uns alle gegenseitig gefallen hatten, fuhr ich bald wieder rüber. Da fand ich meine Zukünftige am Webstuhl sitzen, und wir haben uns verlobt. Ich zog Anfang September hin und am 25.10.1895 war unsere Hochzeit.

Die Gebäude in Gallingen waren nicht nach meinem Geschmack. Die Scheune, der Pferdestall mit Schweinestall hatten ein Strohdach. Am Wohnhaus blieb auch viel zu wünschen übrig, ein Insthaus war nicht vorhanden. Das Allerbeste war meine junge Frau, die sich vor keiner Arbeit fürchtete. … Ich fing dann gleich an zu bauen. Es war noch eine schwarze Küche vorhanden wie in alten Zeiten, dahinter eine Kammer. Aus der schwarzen Küche und der Kammer wurde eine schöne helle Küche gemacht. Weil kein Insthaus vorhanden war, ließ ich ein Insthaus für vier Familien bauen.

Am Ende des Jahres 1896 wird Sohn Emil geboren – es folgen 1898 Sohn Fritz und 1901 Tochter Paula. Danach erkrankt die Mutter schwer und verstirbt im Herbst des Jahres 1902.

2 Jahre lang bewirtschaftet Franz Teichert den Hof gemeinsam mit der Großmutter seiner verstorbenen Frau – dann entscheidet er sich für eine neue Ehe.

Am 12. Oktober 1904 findet in Gallingen die Hochzeit mit Luise Amande Langhals statt, einer Cousine seiner verstorbenen Frau.

Foto: Unser Bartenstein – März 2023

Luise Amande Langhals wird am 10.3. 1884 als Tochter von August Gustav Langhals und Rosa Bertha Lisette Hartmann in Gallingen geboren. Gustav Langhals und Friedrich Langshals – Vater der 1. Ehefrau Franz Teicherts – sind Brüder.

1906 kommt Sohn Erich Teichert zur Welt (+23 Jan 1945 in Kurland) . 1907 wird der Besitz in Gallingen für 59.000 Mark an Herrn Gottschalk aus Reddenau verkauft. Carl Teichert rät seinem Sohn Franz zum Kauf des kleinen Gutes Grauschienen – und dieser folgt seiner Empfehlung. ‚Das Gut kostete 150.00 Mark bei 50.000 Mark Anzahlung. Der Rest wurde finanziert‘.

‚1913 gehörte das adlige Gut mit 140 ha Franz Teichert, der eine Schneidemühle eingerichtet hatte. Von dem Besitz waren 121 ha Acker, 8 ha Wiesen, 5 ha Weiden, 6 ha Wald, 1 ha Hof/Wege. Es standen 25 Pferde, 70 Rinder – davon 30 Kühe – und 20 Schweine auf dem Hof. Verwaltungsmäßig gehört das Gut Grauschienen bis 1928 zum Gutsbezirk Powarschen‘. (Quelle: Horst Schulz, Die Städte u. Gemeinden des Kreises Pr. Eylau) Diese Angaben stimmen allerdings nicht ganz überein mit denen von Franz Teichert selbst, der berichtet, dass er das Gut Grauschienen bereits 1912 für 190.000 Mark an Herrn Scharfenorth verkauft habe.

Um sie auf den Besuch des Gymnasiums vorzubereiten, werden die Teichert-Söhne Emil und Fritz von Lehrer Schmierdke aus Weischnuren zu Hause unterrichtet. Alle drei Kinder werden in eine Pension nach Bartenstein gegeben – die beiden Jungen zu Frau Zier und Paula zu Frau Knoblauch.

‚Da die Kinder in Bartenstein waren, fuhren wir öfter dorthin, das Getreide wurde auch fast alles nach Bartenstein verkauft. Bis dahin waren es 16 km und 4 km war ein sandiger Weg. Gewirtschaftet hat es sich ja ganz gut. Damit sich auch die Schneidemühle verzinste, machte ich noch Lohnschnitt für die Stellmacher von Reddenau und Albrechtsdorf‘.

Die verkehrsmäßig ungünstige Lage des Gutes Grauschienen veranlasst Franz Teichert schließlich dazu, das Gut wieder zu veräußern. Die Familie zieht zunächst nach Bartenstein, von wo aus sich Franz Teichert nach weiteren Kaufobjekten umsieht, die er auch findet … Der Bericht von Franz Teichert ist noch nicht beendet – hier findet man das Heimatblatt der Kreisgemeinschaft Bartenstein, in dem man ihn insgesamt lesen kann.

Besitzer des Gutes Grauschienen ist 1920 Aloys Penkwitt, nach dessen Tod seine Frau Maria, geb. Warkalla. Verwalter und anschließend Pächter Gutes war bis 1945 ihr Bruder Edmund Warkalla.

Quelle: Unser Bartenstein – März 2023

Ergänzungen zu Familie Teichert:

‚Franz Teichert ist am 24. Dezember 1961 nach einem ereignisreichen Leben im gesegneten Alter von fast 95 Jahren sanft entschlafen‘ fügt sein Enkel Dr. Franz-Dietrich Erkwoh (+2022) hinzu – ein Sohn von Tochter Paula, die 1922 den Gutsbesitzer Walter Erkwoh auf Gut Katzenblick heiratete.

Otto Robert Teichert – ein Bruder von Franz T., der 1864 in Grauschienen zur Welt kam, heiratet 1897 in Landsberg, Pr. Eylau Hulda Hermine Krüger aus Glandau, eine Tochter des dortigen Besitzers Ferdinand (Krieger) Krüger und Ehefrau Caroline Hartwich. Ihr Sohn Curt Alwin Teichert, geb. 1898 in Domtau, wandert später nach Brasilien aus.

Bruder Carl Gustav Teichert, geboren 1869 in Grauschienen, ist Besitzer in Reddenau als er er am 14.5.1895 in Landsberg Bertha Marie Krüger heiratet, eine Schwester der o.a. Hulda Hermine Krüger aus Glandau.

Maria Boehnke – Mutter der Teichert-Geschwister und Ehefrau von Carl Teichert – wurde am 20.1.1842 in Canditten geboren und verstarb am 20.2.1891 in Reddenau.

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Im Alter von 9 Jahren aus dem Haus gegeben …

Über Kinderarbeit, die seit Jahrhunderten und bis zum heutigen Tage in vielen Regionen der Welt stattfindet, habe ich viel gehört und gelesen. Immer wieder wurden Versuche unternommen, Kinderabeit zu verbieten – dennoch gibt es sie noch heute. Es wurden Gesetze verabschiedet, die Kinderarbeit in gewerblichen Betrieben untersagen, aber der Kinderarbeit auf dem Lande wurde kaum Aufmerksamkeit geschenkt.

Ländliche Kinderarbeit fand und findet nicht nur in entlegenen Teilen der Welt statt! Auch unsere Vorfahren – in Ostpreußen und anderswo – kannten solche Kinderarbeit und wenn man sich mit den Lebensumständen der Ahnen beschäftigt, kann man dieses Thema nicht aussparen..

In einem Aufsatz über ‚Landwirtschafliche Kinderarbeit‚, der 1925 in der Zeitschrift ‚Die Frau‚ erschien, schreibt Anna Pappritz: ‚Aus Ostpreußen berichtet ein Kreisarzt: „Die Kinder müssen mit ihren Angehörigen im Sommer 15 Stunden arbeiten“. Ein Lehrer: „Arbeit ab 7 Uhr morgens auf dem Felde, so lange es hell ist; bei Laternenlicht geht es dann im Hause weiter: Kartoffleschälen, Rübenschneiden, Wassertragen.“

Erstmals habe ich bei der Durchsicht von Dokumenten aus dem Kreis Pr. Eylau einen schriftlichen Vermerk darüber gefunden, dass Kinder von Landarbeitern wirklich schon in sehr frühem Alter aus dem Haus gegeben wurden, um mit für den Lebensunterhalt der Familie zu sorgen. Und obwohl ich dies eigentlich wusste, habe ich mich erschrocken …

Traditions=Recess derer sämtl. Graventhien=
schen Güther an den Pfandnehmer Herrn Krieges=
Rath Balthasar Philipp Genge
.
Actum Graventhien vor dem Haupt-Ambt Brandenburg
den 13ten Juli 1750
Graventhien im Kirchspiel Schmoditten

Bei der Übergabe der Graventhienschen Güter an den Kriegsrat Balthasar Philipp Genge am 13. Juli 1750 werden sämtliche Untertanen aus Graventhien und Pieskeim namentlich aufgeführt.

Die zu denen im Haupt-Ambt Brandenburg gelegenen Güthern
Graventhien und Pieskeim gehörige Unterthanen wären folgende, und
zwar in Graventhien:

Auch der Instmann Evert, seine Ehefrau Maria und ihre 5 gemeinsamen Kinder gehören zu dieser Zeit zu den Untertanen des Gutes Graventhien. Allerdings lebt nur der kleine Martin, der um 1744 zur Welt gekommen sein muss und 1750 erst 6 Jahre alt ist, bei seinen Eltern. Bis auf diesen kleinen Sohn wurden alle Kinder aus dem Haus gegeben:

  • Gottfried Evert 18 Jahr dienet im Hofe zu Pieskeim
  • Catharina 15 Jahr dienet im Schmodittschen Nieder-Kruge
  • Michael 9 Jahr dienet bey dem Hirten zu Pieskeim
  • Maria 9 Jahr dienet in Klein Dexen beym Rockel
  • Martin 6 Jahr ist zu Hause

Unglaublich! Michael und Maria Evert sind erst 9 Jahre alt!

Ich frage mich, ob auch einige meiner eigenen Vorfahren ihre Kinder zum Arbeiten aus dem Haus gaben … ? Da aber unter meinen Ahnen kaum Instleute zu finden sind, gehörten sie vielleicht eher zu jenen, die diese Kinder beschäftigten und ausnutzten. Das mag ich mir kaum vorstellen!

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Zuordnung historischer Gebäude in Worienen – Groß Peisten – Groß- u. Klein Steegen

Ich bin noch immer damit beschäftigt, die Geschichte meiner ostpreußischen Vorfahren zu bearbeiten. In diesem Zusammenhang habe ich ein wenig gebastelt und versucht, einige historische Gebäude der Begüterungen Worienen, Groß Peisten sowie Groß und Klein Steegen des Kreises Pr. Eylau an ihre ehmaligen Standorte zu setzen.

Viele meiner Ahnen sind an diesen Gebäuden vorüber gegangen – einige sicherlich täglich. Und einige haben sogar miterlebt, wie diese Bauten errichtet wurden …

Das Woriener Schloss wird in der Zeit von 1725-1730 von Matthias Christoph von Bredow errichtet und auch der gegenüber liegende Reitstall existiert bereits im 18. Jahrhundert. Die Brauereigebäude stammen aus der Zeit von Familie von Domhardt und wurden später um- und ausgebaut.

Auch das Administratorenhaus wurde zu Domhardts Zeiten (1797) erbaut. Dieses Gebäude blieb erhalten, wurde aufwendig restauriert und dient heute als Seniorenheim. Alle anderen Bauten sind verschwunden.

Auszüge aus meiner Familiengeschichte:

Sicherlich hat sich Michael Gegner (1713-1786) schon als Kind oft auf dem Gelände der Begüterung Worienen aufgehalten – vielleicht hat er seinen Vater Christoph von Polassen aus begleitet, wenn dieser seine Böttcherwaren auslieferte. Die Begüterung befindet sich seit 1724 im Besitz des „Geheimten Etats=Raths und Präsidenten“ Mathias Christoph von Bredow und Michael ist ein Teenager als um 1725 in Worienen mit dem Bau des Schlosses begonnen wird. Und sicherlich hat er erlebt, wie sein Onkel Christian Schmidt – der Ehemann seiner Tante Anna – als Kunstgärtner die Gartenanlagen rund um das Schloss betreute und verschönerte. …

Zum Zeitpunkt der Übernahme der Begüterung Worienen durch Ludwig von Domhardt (1781) ist Gottlieb Gegner – Sohn des Kunstgärtners Michael Gegner – als Kunstgärtner der Begüterung Worienen tätig. Ihm folgt um 1800 mein Vorfahre Carl Wilhelm Schmidt, der dieses Amt bis zum Tod des Gutsherrn ausübt.

In Groß Peisten existiert keines der ehemaligen historischen Gebäude mehr – weder die Gutskirche noch der Gutshof noch die Mühle. Reste der Peistener Mühle waren noch im Sommer des Jahres 2004 vorhanden. Ich konnte sie noch besichtigen.

Auszüge aus meiner Familiengeschichte:

Durch Johann Heinrich Ankermann (Nr. 28), Christophs und Dorotheas Sohn aus Pompicken, gelangen wir nun in die Begüterung Groß Peisten. Heinrich ist 30 Jahre alt und Erbpächter des Kruges in Groß Peisten als er am 9. November 1796 im benachbarten Landsberg die erst 17jährige Carolina Rosenberg ehelicht.

Carl Sigismund Ankermann – Johann Heinrichs Sohn und Johannas Vater – ist Müller bzw. Pächter der Mühle von Groß Peisten. Friedrich Westphal, der 1830 in der Kirche von Groß Peisten als Johannas erster Taufpate, eingetragen wurde, ist zu dieser Zeit sein Geselle. Vielleicht wurde schon bei der Taufe verabredet, dass eine spätere Heirat der Kinder – Friedrichs Sohn Johann Carl Westphal ist 1830 acht Jahre alt – gut passen würde …?

Die Mühle von Groß Steegen gehörte zur Begüterung Wildenhoff im Kirchsspiel Canditten. Sie wurde zu verschiedenen Zeiten von mehreren meiner Vorfahren betrieben. Sowohl die Mühle als auch die Gutshöfe Groß- und Klein Steegen sind verschwunden.

Vorhanden ist noch das ehemalige Beamtenhaus des Gutes Klein Steegen – im Plan unten links. Es wurde mittlerweile renoviert. Die auf dem Foto abgebildete anschließende Meierei gibt es nicht mehr.

Auszüge aus meiner Familiengeschichte:

Im Mai 1749 nimmt Johann Wilhelm Hellwich die Mühlen von Groß Steegen und Liebnicken, die – wie die Landsberger Mühle – zur Wildenhoffschen Begüterung gehören, in Erbpacht. … Johann Wilhelm Hellwich zahlt 600 Gulden an Erbpacht und verpflichtet sich u.a.: „das Mahlwerck vor den Hoff (= für den Hof), es bestehe in der Consumbtion, Brandtwein Brenner= und Brauerey, jederzeit, ohne Metz und Mahlgeld tüchtig und gut zu verrichten“ – „die Schmiede=Arbeit an gehenden Wercken, im Stande zu halten“ – bei anfallenden Zimmerarbeiten „hülfliche hand zu leisten“, ein „wachsahmes Auge darauf zu haben, daß durch frembde mit fisch dieberey, kein Eintrag geschehe“ …..

Nach Johann Wilhelm Hellwichs Tod wird die Mühle zunächst von seinem einzigen Sohn – dem 1733 in Landsberg geborenen Johann Gottlieb – betrieben. Anschließend übernimmt sie mein Vorfahre Johann Friedrich Westphal, der von etwa 1775 bis 1790 als Pächter der ‚Reichsgräflichen Steegenschen Mühle‚ genannt wird.

Die Verwaltung des Gutes Klein Steegen liegt in den Händen von Christian Schmidt, der 1729 als Sohn des gleichnamigen Woriener Gärtenierers und späteren Arrendatoren und dessen Ehefrau Anna, geb. Gegner, zur Welt kommt. Nach seiner Eheschließung mit Catharina Dorothea Schultz – einer Tochter des damaligen Guttenfelder Pfarrers Christian Melchior Schultz – übernimmt er die Gutsleitung.

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Abhängigkeit und Bestrafung von Gutsbediensteten

Viele meiner ostpreußischen Vorfahren und ihre Anverwandten waren während des 17. bis 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Regionen Bedienstete oder Handwerker adeliger Güter. Bezüge gibt es vor allem zu einigen Gütern des Kreises Pr. Eylau: zur Begüterung Worienen, zur Begüterung Groß Peisten sowie zur Begüterung Wildenhoff im Kirchspiel Canditten.

In Worienen

• Hans Gegner schon um 1650 als Hofmann
• Erdmann Gegner, Sohn Christoph und dessen Sohn Jacob als Böttcher
• Erdmanns Sohn Peter Gegner als Hofmann
• Albrecht Gegner als Arrendator u. Waldwart des Vorwerks Schwadtken
• Christian Schmidt(ke) als Schmied
• Michael Gegner und Carl Wilhelm Schmidt als Kunstgärtner
• Michaels Sohn Gottlieb als Kunstgärtner
• Michaels Sohn Johann Christian Gegner als Diener
• Michael Wilck, Michaels Gegners Schwiegersohn als Zimmermann
• Gottfried Reissmann als Oberwart der Privatförsterei 
• Johann Joachim Grube, dessen Schwiegersohn als Schneidermeister
• Friedrich Westphal als Müllermeister

in Groß Peisten

• Christoph Willfang, um 1719 Hofmann des Vorwerks Wangnick
• anschließend Arrendator von Wangnick
• Michael Politt, sein Schwiegersohn, Arrendator des Vorwerks Kattlack
• Christoph Rosenberg, Arrendator d. Vorwerke Achthuben u. Schwadtken
• Johann Heinrich Ankermann, Erbkrüger, Dorfschulze und Kirchenvorsteher in Peisten
• Carl Sigismund Ankermann, Müller in Peisten 

Die Vorwerke Wangnick, Achthuben, Kattlack und Schwadten lagen in einiger Entfernung vom Hauptgut Groß Peisten.

in Wildenhoff

• Jacob Lehmann, um 1700 Bräuer in Wildenhoff
• Jacob Söcknick, Gerichtsgeschworener am Hofe von Wildenhoff
• Johann Wilhelm Hellwich Müllermeister bzw. Arrendator der Landsberger Ordensmühle 
• Johann Boenke, Krüger in Canditten
• Michael Gutt, Gerichtsgeschworener in Wildenhoff
• Gottlieb Gutt war Hofmann im Vorwerk Amalienhoff, später Freikrüger in Canditten

Und dann gibt es die Familien der Bauern unter meinen Ahnen, die über Jahrhunderte in den zur Begüterung gehörenden umliegenden Dörfern leben und sich mit ihren Ehefrauen und Kindern für die Versorgung ihrer eigenen Familien und die der Gutsherren abrackern. …

Je mehr ich mich mit den Lebenswegen meiner Vorfahren befasse, desto klarer wird mir ihre extreme Abhängigkeit vom Wohlwollen der adeligen Grundherren, denen sie verpflichtet waren – im Fall meiner eigenen Ahnen waren dies die Familien von Tettau von Bredowvon Domhardt in Worienen, in Gr. Peisten die Familie von Kreytzen und in Wildenhoff die Familie von Schwerin.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen sind die in adeligen Begüterungen lebenden Personen Untertanen der Gutsbesitzer. Dies bedeutet beispielsweise, dass sie den Gutsbezirk ohne seine Erlaubnis nicht verlassen dürfen, von ihm nach Belieben zu allen erdenklichen Diensten – dem Scharwerk – herangezogen oder auch auf einem seiner anderen Güter angesetzt werden können. Sie werden als „Theile des Guts, zu welchem sie gehören, angesehen und (können) von demselben nicht anders als durch den Loskauf oder durch einen vom Gutsbesitzer ertheilten Freyheitsbrief getrennt werden.“ (Johann Friedrich Goldbeck, Vollständige Topographie des Königreichs Preußen, 1. Teil, Königsberg u. Leipzig; 1785, Seite 62).

Nicht selten versuchen gutsuntertänige Bauern, ihren Gutsherren durch Flucht in benachbarte Ämter zu entkommen. Strafen wie das Tragen eines ‚Schandmantels‘ sind in solchen Fällen an der Tagesordnung – wie 1790 auf dem Hofplatz des Gutes Tolks.

Als Bauer oder Handwerker eines Dorfes unter Landesherrschaft ist das Leben oftmals leichter, da diese nicht so sehr der Willkür einer einzelnen Person ausgesetzt sind, liest man mancherorts.

Doch auch die Landesherrschaft wendet bei Verstößen drastische Maßnahmen an. In einem Erbpachtsvertrag über die Pottlacksche Mühle, den das Amt Natangen im Januar 1736 mit dem Müller Adam Jost Weymar schließt, wird im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Mühlenzwangs auch die zu erwartende Strafe bei Verstößen erwähnt. In diesem Vertrag heißt es: es sollen ‚die zu dieser Mühle geschlagenen Zwangspflüchtigen (=Zwangspflichtigen) allzeit vom Beamten mit Nachdruck angehalten werden, in keinen anderen Mühlen zu mahlen, und sollen dieselben Mahl Bücher führen, die Contravenienten aber, wenn sie aus Uebermuth in frembden Mühlen … die Metze und das Mahlgeld bezahlen, auch nach Befinden mit Tragung des Spanischen Mantels, oder härterer Leibes Straffe angesehen werden.

Im Jahr 1738 erlässt der König das sog. ‚Prügelmandat‚. Er habe, sagt er darin, ‚mißfällig vernommen und auch selbst gesehen, daß die Pächter und deren Schreiber, die Unterthanen, welche bei ihren Hofdiensten etwa nicht recht arbeiteten, mit Peitschen und Stockschlägen antrieben; da er nun dergleichen barbarisches Wesen, die Unterthanen gottloserweise mit Prügeln oder Peitschen sklavischer Weise wie das Vieh anzutreiben, absolut nicht haben wolle, so verbiete er es von nun an streng bei Strafe sechswöchentlichen Karrens und im Wiederholungsfalle des Stranges, doch sollte das nicht für (Ost-)Preußen gelten, weil das Volk daselbst sehr faul, gottlos und ungehorsam sei. Für die anderen Provinzen sollten die bei Hofdiensten faulen Unterthanen durch Einspannung in den Stock, Umhängung des Spanischen Mantels und Festungsarbeit bestraft werden, wenn sie aber geschlagen würden, sich beschweren dürfen.‘ (Gustav Adolf Harald Stenzel, Geschichte des preußischen Staats, 3, Teil; Hamburg 1841, Seite 680)

Quelle: Preußische Rechtsquellen Digital

In Ostpreußen darf demnach nach wie vor ohne Beschwerde geschlagen und gepeitscht werden und ich frage mich nicht nur, ob dies auch meinen Vorfahren geschah – sondern auch, ob nicht diejenigen unter meinen Vorfahren, die als Arrendatoren der Vorwerke von Groß Peisten die dort zu erledigenden Arbeiten überwachten, selbst derartige Methoden angewandt haben mögen ….

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Die Nordwest-Zeitung berichtet …

Ich freue mich, dass meine Spurensuche dazu beigetragen hat, die Geschichte der über lange Zeit in Friesoythe ansässigen Firma Ankermann nachzuvollziehen. Der Ursprung der Familie liegt in Ostpreußen – Näheres dazu ist im vorherigen Beitrag nachzulesen.

NWZ vom 20.1.2023
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Firma Ankermann & Co in Berlin und Friesoythe

Ich habe mich in den vergangenen Jahren oft gefragt, wer die in Friesoythe ansässige Firma Ankermann&Co gegründet haben mag und ob es möglicherweise eine familiäre Verbindung dieses Gründers zu den Ankermann-Familien in Ostpreußen und somit zu meinen Ankermann-Vorfahren gibt …?

Es gibt diese Verbindung! Ein alter Ankermann-Stammbaum und eine gründliche Recherche haben mich auf die Spur gebracht. Die Verbindung kommt durch eine Eheschließung zustande, die im Jahre 1777 in der kleinen Kirche von Klein Dexen – Pr. Eylau – vollzogen wird ….

Manchmal schießt meine – ursprünglich nur von genealogischem Interesse geprägte Spurensuche – jedoch weit übers Ziel hinaus. So auch in diesem Fall! Mich interessieren immer auch auch die Lebensläufe der Nachfahren meiner Vorfahren und dies konnte ich ermitteln:

Im Jahre 1940 wird neben den drei Ankermann-Geschwistern – dem Ethnologen und Afriakforscher Professor Dr. Bernhard Ankermann, der Malerin Elisabeth Ankermann und der Klavierlehrerin Marie Ankermann – auch der Apotheker Curt Ankermann im Berliner Adressbuch aufgeführt. Sie alle sind miteinander verwandt – Curts Großvater und der Vater der drei Geschwister sind Brüder.

Adressbuch Berlin 1940

CURT Hermann Hugo Ernst Ankermann – so der vollständiger Name – ist der älteste Sohn des Apothekers Ernst Ankermann und dessen Ehefrau Alma Jeske. (Anmerkung: weitere Informationen zu den Familien s.u.). Zum Zeitpunkt seiner Eheschließung in Berlin-Wilmersdorf (1928) mit Lieselotte Ida Helene Loesch – einer Tochter des Oberförsters Franz Friedrich August Loesch – ist Curt Ankermann Besitzer einer Apotheke in der Kleinstadt Grimmen.

Er verlässt die Kleinstadt und zieht nach Berlin. Hier wird er zunächst als Apotheker in Schmargendorf, dann als Pächter der Wilhelmstädtischen Apotheke genannt, die sich im Haus Luisenstraße Nr. 19 befindet.

Die Lage der Apotheke ist ausgesprochen günstig – in unmittelbarer Nähe befinden sich auch Gebäude der Berliner Charité.

Curt Ankermann verkauft nicht nur Medikamente, er gründet im Haus Luisenstaße Nr. 20 auch ein Chemisches Labor, in dem spezielle Vitamin-Präparate hergestellt werden. Dieses Labor wird nicht von ihm allein betrieben.

Im August 1940 schließt Professor Theo Morell mit dem Apotheker Curt Ankermann ein Privatabkommen, das ihm einen Anteil von 25% an der an diesem Tag neu zu gründenden Kommanditgesellschaft ‚Chemisches Laboratorium Ankermann und Co‚ sichert. (Quelle: Ottmar Katz: Prof. Dr. med The Morell (1982)

Adressbuch Berlin 1942

Der genannte Arzt Theodor Morell ist in Berlin seit Beginn der dreißiger Jahre zu einem ausgesprochenen ‚Prominentenarzt‚ avanciert. In seiner Privatpraxis am Kurfürstendamm und ‚in seinem Wartezimmer gaben sich Prominente wie Richard Tauber, Max Schmeling, Rosita Serrano, Martha Eggert und die Lebensgefährtin von Hans Albers, Hansi Burg, die Klinke in die Hand. Es waren Leute von Bühne und Film, aus Sport, Wirtschaft und Politik Als er mit seinen Behandlungsmethoden Erfolg hatte, war seine Existenz als Leibarzt des Führers (Adolf Hitler) gesichert‘. (Quelle: IRVING – Die geheimen Tagebücher des Dr Morell)

Adressbuch Berlin 1942

‚Zwischen 1941 und 1945 verordnete M(orell) mindestens 92 verschiedene Medikamente und machte ihm (Adolf Hitler) über 1000 intravenöse und intramuskuläre Injektionen zu dessen Zufriedenheit und teilweise auf dessen Verlangen. Psychopharmaka kamen dabei nicht zum Einsatz. Zugleich baute M(orell) vom jeweiligen Führerhauptquartier aus seit 1943 ein Pharma-Imperium auf, das von Riga über Winniza und Olmütz bis Charkow reichte, aber in dem Maße liquidiert wurde, wie die besetzten Ostgebiete verlorengingen. Er war Eigentümer bzw. Treuhänder mit Vorkaufsrecht von sechs Firmen in den von Deutschland besetzten Gebieten. An einer Reihe deutscher Pharmafirmen war er maßgeblich beteiligt‚. (Quelle: Schenck, Ernst Günther, „Morell, Theodor“ in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 97-98

Adressbuch Berlin 1941

Die Zusammenarbeit Theodor Morells mit der Firma Ankermann & Co funktioniert. ‚Die Firma erklärte sich am 1.8.1941 bereit, … 40.000 Riegel = 160.000 Täfelchen Intelan zur Verfügung zu stellen, und Ankermann teilte Morell am 4.11.1941 mit, er habe nach Rücksprache mit dem leitenden Apotheker der Waffen-SS, Oberführer Dr. Blumenreuther 40.000 Vitamin A + D Tabletten „ Intelan human “ an das SS – Hauptsanitätslager in Berlin – Lichtenberg versandt‘. (Quelle: Ernst Günther Schenck, Prof. Dr. med. Theodor Gilbert Morell: Hitlers Leibarzt und seine Medikamente)

Quelle: Hans-Joachim Neumann u. Henrik Eberle ‚War Hitler krank?‘

Im Oktober 1942 verlegt Curt Ankermann den Betrieb – zumindest einen Teil davon – wegen der sich verstärkenden Luftangriffe auf Berlin nach Friesoythe/Oldenburg in das dort bereits bestehende Impfstoffwerk von Dr. Meiners.

Fabriziert wird nun sowohl in Berlin als auch in Friesoythe. In Berlin werden u.a. auch antibiotikumhaltige Mittel hergestellt, die zur Aufzucht und Mast von Schweinen und Geflügel verwendet werden. Eine Filiale des Berliner Betriebs wird zunächst unter TreuhandVerwaltung gestellt – später wird sie Volkseigentum der DDR. ‚Im Zuge der Rekonstruktion der pharmazeutischen Industrie der DDR erhielt der VEB Serum-Werk Bernburg Ende 1960 den bis zu diesem Zeitpunkt in Treuhand-Verwaltung befindlichen Betrieb Vitamin-Chemie Ankermann & Co GmbH Berlin-Mitte als neuen Betriebsteil‘. (Quelle: Florian Georg Leupold, Die Geschichte des VEB Serum-Werk Bernburg von 1954 bis 1990 unter besonderer Berücksichtigung biogener Arzneistoffe; Dissertation Marburg/Lahn 2018)

In Friesoythe wird der Name Ankermann & Co beibehalten – als Inhaber des Werks wird der Chemiker Helmuth Wawretschek genannt, der auch aus Berlin stammt.

Curt Ankermann selbst lebt fortan in Hamburg, wo 1956 die Paracelsus Apotheke eröffnet, die noch heute unter dieser Adresse besteht. Noch 1973 wird Curt Ankermann im Hamburger Adressbuch genannt – 1978 verstirbt er in Überlingen am Bodensee.

Adressbuch Hamburg – 1960

Ankermann & Co in Friesoythe

Über die Ankermann-Werke in Friesoythe berichtet die Oldenburger Nordwest-Zeitung immer wieder – zum Beispiel im Juni 1949:

NWZ Februar 1950

Der chemischen Fabrik Ankermann&Co, die nach ihrer Ausbombung in Berlin bei dem ihm befreundeten Impfstoffwerk in Friesoythe Unterkunft gefunden hat, ist es gelungen, ein Mastmittel herzustellen, von dem eine erhebliche Beschleunigung der Mast von Schweinen, Kälbern und Geflügel erwartet wird. Das neue Mittel heißt ‚TURIL‘.

Durch die Herstellung von TURIL und des in der Jungtieraufzucht bewährten Vitaminkonzentrats MIKULSION ist es der Firma Ankermann möglich geworden, den Einwohnern der so schwer getroffenen Stadt Friesoythe neue Arbeitsmöglichkeiten zu erschließen.

Im Dezember 1954 kann man im Münsterländer lesen: ‚Seit 1946 hat Friesoythe neben dem Impfstoffwerk Dr. Meiners ein weiteres pharmazeutisches Werk: Ankermann&Co, ein Flüchtlingsunternehmen, Sitz Berlin. AmRande der Stadt, rechts von der Straße nach Cloppenburg, bevor sie die Soeste überschreitet, liegt etwa 100 m seitwärts ein niedriges, nicht umfangreiches Gebäude, in dem täglich Erzeugnisse hergestellt werden, deren Abnehmer in der Bundesrepublik und in fernen überseeischen Ländern sitzen …. Flüssige Vitamine werden erarbeitet. Nachdem der chemische Prozeß abgeschlossen ist, werden sie in Glasfläschen gefüllt, … luftdicht abgeschlossen und versandfertig gemacht. … Mit dem Firmennamen tragen sie auch den Namen Friesoythe in die Bundesrepublik und in ferne überseeische Länder. Hauptabnehmer des Vitamins Ankermann&Co ist Indien. Lieferungsverträge mit Burma und anderen Ländern sind geplant.‘

Seit 1956 trägt ein – noch heute im Handel befindliches – Vitamin-B-12-Präparat den Namen ‚Ankermann‚. Hergestellt wird es damals in Friesoythe – 1959 wird im Ärzteblatt dafür geworben:

Werbung im Bayrischen Ärzteblatt – Oktober 1959

Im Laufe der Jahrzehnte expandiert das Friesoyther Werk – 1973 wird die Fa. Ankermann & Co ein Tochterunternehmen des US-Konzerns ‚Cooper Laboratories International Inc.‘ Neue Produkte werden hergestellt und in viele Länder der Welt exportiert. Im Jahr 1974 hat das Werk 90 Mitarbeiter.

Im Oktober 1974 ist im ‚Münsterländer‘ der NWZ ist zu lesen: ‚Die Arzneimittelfirma Ankermann & Co GmbH mit Sitz in Friesoythe (Kreis Cloppenburg) ist jetzt der europäische Versorgungspunkt für Kavosan, Avena und Emulave – Medikamente zur Haut- und Mundpflege. Damit löst die Tochtergesellschaft des US-Konzerns ‚Cooper Laboratories International Inc.‘ die italienische Schwesterfirma in Mailand ab, die noch bis vor kurzem Zentralverteiler für Kavosan, Avena und Emulave in Europa gewesen war. Gleichzeitig mit dem Ausbau der Produktions– und Lagerräume vergrößerte das seit 1946 in Friesoythe ansässige Unternehmen seine Mitarbeiterzahl von bisher 72 bis nunmehr 90 Beschäftigte‘.

Nachfolgend einige Zeitungsberichte der NWZ aus der Zeit von 1974 bis 1996, in denen die Ankermann-Werke in Friesoythe erwähnt werden. Die Rechte der Berichte liegen bei der Nordwest-Zeitung – die Wiedergabe der Ausschnitte in diesem Blog geschieht mit freundlicher Genehmigung der NWZ.

Friesoyther Nachrichten – Beilage der NWZ – November 1974
Der Münsterländer – Beilage der NWZ – März 1979
Der Münsterländer – Beilage der NWZ – Januar 1980
Der Münsterländer – Beilage der NWZ – Februar 1996

Seit Gründung des Werks in Friesoythe sind inzwischen 50 Jahre vergangen und obwohl das Unternehmen mittlerweile mehrfach den Besitzer gewechselt hat, ist es auch 1996 immer noch unter dem Namen ‚Ankermann‚ bekannt

Zur Familie von Curt Ankermann

Curt Ankermanns Großvater väterlicherseits – Eduard Wilhelm HUGO Ankermann – heiratet 1862 in Königsberg MINNA Antonie Kathinka Laudien, eine Tochter des Königsberger Pfarrers Theodor Laudien. Hugo Ankermann ist Arzt – zunächst in Königsberg und dann Allenburg, wo seine Ehefrau drei Söhne zur Welt bringt:

  • Ludwig Theodor BRUNO Ankermann *1863
    • ALFRED Hugo Hermann Ankermann * 1865 und
      • ERNST Anton Franz Ankermann *1867

Bruno Ankermann wird Pfarrer – zunächst in Gerdauen, dann in Lindenau, im Kreis Heiligenbeil. 1926 ist er Konsistorialrat in Königsberg, wo er 1938 verstirbt. Er ist verheiratet mit Hedwig Anna Louise Laudien. Die beiden haben insgesamt 9 Kinder.

Bruder Alfred lebt als General-Landschaftskalkulator in Königsberg – heiratet Luise Catharina Charlotte (Käthe) Moehrke und bekommt 2 Söhne.

Ernst Ankermann – der jüngste Bruder – wird Apotheker. 1893 legt er in Königsberg seine Staatsprüfung ab. Er zieht zunächst nach Danzig, aber schon 1895 lebt er als Apotheker in Gollantsch – südwestlich von Bromberg. Er ist verheiratet mit Alma Jeske und bekommt 3 Kinder, die in Gollantsch zur Welt kommen: Curt Ankermann Bruno Ankermann und Else Ankermann.

Ernst Ankermann wird vor 1910 als Besitzer der Fima „Ernst Ankermann, Adler-Apotheke und Drogenhandlung“ in Argenau genannt – 1916 wird seine Ehefrau Alma Ankermann, geb. Jeske – inzwischen verwitwet – als Apothekenbesitzerin in Rogasen aufgeführt

Curt Ankermannns Bruder Bruno Ankermann wird als Inhaber verschiedener Apotheken in Posen genannt – 1935 z.B. als Inhaber der ‚Löwen-Apotheke und Drogenhandlung in Stolpmünde‚.

Schwester Else Ankermann heiratet einen Pfarrer.

Nach dem Tod seiner Ehefrau heiratet der o.g. Arzt Hugo Ankermann – Vater von Bruno, Alfred und Ernst – in 2. Ehe Rosalie Amalie Renate Schmidt aus Danzig – 1873 wird in Königsberg ihre Tochter Gertrud Amalie Charlotte Ankermann geboren. Sie wird Lehrerin und lebt nach ihrer Heirat mit dem Witwer Friedrich Johann Heinrich Stührenberg in Rastede bei Oldenburg.

Viele weitere Beiträge zu Personen und Familien namens ‚Ankermann‘ – zu verschiedenen Zeiten in unterschiedlichen Orten – sind hier zu finden!

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